eine Leseempfehlung des Stadtelternrates:
Die Bedürfnisse und Wünsche
der Generationen Y und Z
Die Sozialisationsforschung beschreibt die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen als intensive Wechselwirkung zwischen den persönlichen Ressourcen und den sozialen und ökologischen Umweltbedingungen (Hurrelmann und Bauer 2015). Diese ständige produktive Verarbeitung der inneren und der äußeren Realität, also der körperlichen und psychischen Dispositionen auf der einen und der sozialen und ökologischen Lebensbedingungen auf der anderen Seite, hat ihren Kulminationspunkt im Jugendalter. In dieser Lebensphase entsteht die Fähigkeit, über das eigene Leben sensibel, teilweise hypersensibel nachzudenken (Hurrelmann und Quenzel 2013).
Und noch mehr: Was junge Menschen in dieser Phase erleben – historische Ereignisse, politische, wirtschaftliche, kulturelle und technische Gegebenheiten – prägt mehrere aufeinanderfolgende Alterskohorten und schreibt charakteristische Muster in ihrer Persönlichkeit fest. Es entsteht eine „Generationslagerung“, die jeweils bestimmte „Generationsgestalten“ hervorbringt (Hurrelmann und Albrecht 2014).
In diesem Beitrag wird zunächst gezeigt, wie sich solche Generationsgestalten herausbilden und welche Besonderheiten die jüngsten Generationen, die oft als Generation Y und als Generation Z bezeichnet werden, aufweisen. Anschließend wird erörtert, welche Konsequenzen sich aus der spezifischen Generationsgestalt der jungen Generationen für Bildung und Beruf ergeben.
Die Prägung von Generationsgestalten
Karl Mannheim hat in den 1920er Jahren das Konzept dieser „Generationslagerung“ entwickelt. Er beschreibt damit die tiefe Prägung von aufeinanderfolgenden Alterskohorten, die durch epochale Veränderungen bestimmt wird (Mannheim 1964). In der Nachkriegszeit
hat Helmut Schelsky dieses Konzept neu belebt, indem er die Nachkriegsgeneration der 1925 bis 1940 Geborenen analysierte. Diese Generation fand ein politisch demoralisiertes und wirtschaftlich zerstörtes Land vor. Die katastrophal schlechten Verhältnisse schweißte sie zu einer pragmatischen und zupackenden Handlungsgemeinschaft zusammen. Schelsky nannte sie die „skeptische Generation“ – Alterskohorten, die auf das schiere Überleben ausgerichtet waren, nach vorne sahen und mit der nötigen Nüchternheit und Skepsis alles das, aber auch nur das taten, was nötig und möglich war (Schelsky 1963).
Angeregt durch diese Studie hat sich in der Sozialisationsforschung eine Definition von Generationen durchgesetzt, die jeweils Alterskohorten von fünfzehn aufeinander folgenden Jahren zusammenfasst. In einem solchen Zeitablauf ändern sich die technischen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Bedingungen derartig stark, dass jeweils eine neue „Generationslagerung“ entsteht, die eine neue „Generationsgestalt“ hervorbringt. Auf die skeptische Generation folgten die 1968er (geboren etwa zwischen 1940 bis 1955), dann die Babyboomer (1955 bis 1970), die Generation X (1970 bis 1985), Y (1985 bis 2000) und zuletzt die Generation Z (ab 2000 geboren). Jede dieser Generationen ist durch kollektiv erlebte Ereignisse geprägt, die Spuren in ihrem „Sozialcharakter“ hinterlassen haben:
– Die 1968er-Generation konnte sich nach den Aufbauerfolgen der skeptischen Generation, in einer bereits wieder entspannten wirtschaftlichen Lage und einer funktionierenden Demokratie an die fällige Auseinandersetzung mit der Generation ihrer Eltern machen. Die Eltern waren in den Nationalsozialismus verwickelt und verkörperten mit ihrer autoritären Haltung und obrigkeitsstaatlichen Orientierung die für sie Ewiggestrigen. Diese Auseinandersetzung fiel sehr heftig aus und war von Aggression und Gewalt geprägt; sie symbolisiert bis heute eine „politische Revolution“, die von der nachwachsenden Generation ausgeht. – Die wirtschaftliche Ausgangslage verbesserte sich für die Generation der Babyboomer weiter. Sie stellen die bisher zahlenmäßig stärksten Jahrgänge in Deutschland überhaupt, sie sind die Kinder optimistischer Eltern. Sie konnten und können sich „postmaterialistische“ Wertorientierungen leisten und sich politisch für eine gute Lebensqualität und eine saubere Umwelt einsetzen, und sie taten und tun das auch. Sie sind die heute in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik dominierende Generation. – Die Generation X konnte ebenfalls in Sicherheit groß werden, obwohl sich erhebliche Krisenwolken am wirtschaftlichen Horizont zusammenzogen. Florian Illies hat diese Generation für Deutschland in seinem launigen Buch auch „Generation Golf“ (Illies 2001) genannt und beschreibt sie als junge Leute, die vor lauter Saturiertheit und Sattheit nicht mehr wissen, was sie vom Leben wollen. Sie reagieren auf die Wohlstandsgesellschaft mit „Null Bock“ und hedonistischen Orientierungen, behalten allerdings das Engagement für Lebensqualität und Umwelt bei.
– Die Generation Y wird durch die heute zwischen 15 und 30 Jahre alten Menschen gebildet. Die Jüngeren sind noch in Schule und Ausbildung, die Älteren stehen an der Schwelle zur Berufsausbildung oder zum Berufseintritt, einige mitunter schon vor einem ersten Berufswechsel. Sie alle sind in ihrer formativen Jugendzeit zwischen 2000 und 2015 mit den interaktiven digitalen Medien groß geworden und erschließen sich damit jeden Winkel der Welt. Ein Angehöriger dieser Generation hat politische Spannungen, Terroranschläge und globale Kriege miterlebt und weiß intuitiv, wie unsicher das öffentliche Leben geworden ist. Er hat erfahren, wie ungewiss bis vor wenigen Jahren der Übergang in den Beruf war; die Jugendarbeitslosigkeit machte es 20 bis 30 % von ihnen unmöglich, einen Ausbildungs- oder einen Arbeitsplatz zu erhalten. Die Generationslagerung ist also durch internationale Krisen und Konflikte, durch unberechenbar gewordene Zukunftsbilder und gleichzeitig dadurch gekennzeichnet, dass man als „digitaler Eingeborener“ jeden Winkel der Welt und jede Nische des Alltagslebens durch interaktive Medien erkunden und sich weltweit verständigen kann. – Die nächste Generation, die heute unter 15 Jahre alt ist, lässt sich noch nicht genau charakterisieren, denn die Mehrheit der jungen Leute hat die formative Jugendzeit noch vor sich. Sollten sich die wirtschaftlichen Bedingungen so günstig weiterentwickeln wie heute, kann eine Generationsgestalt erwartet werden, die sich wiederum deutlich von der Generation Y unterscheidet. Die World Vision Kinderstudie 2013 und die Shell Jugendstudie 2015 geben hierzu erste Hinweise: Eine selbstbewusste und entscheidungsfreudige junge Generation wächst heran, die sich auch politisch wieder stärker interessiert und einmischt. Sie ist nicht mehr unter dem Druck, sich um jeden preis für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren, weil sehr viele Arbeitsplätze in den nächsten Jahren neu besetzt werden müssen. Ihre eigentliche Prägung aber erfolgt nach den Erkenntnissen der Sozialisationsforschung erst, wenn sie die Pubertät hinter sich lässt und in die Lebensphase Jugend eintritt. Erst dann macht es auch Sinn, einen angemessenen Namen für diese Generation zu suchen. Sie wird heute etwas gedankenlos als „Generation Z“ bezeichnet, obwohl der Buchstabe Z keinerlei metaphorische Bedeutung hat.
Die Generationsgestalt der heute 15 bis 30 Jahre alten jungen Leute
In diesem Beitrag konzentriere ich mich auf die Generationsgestalt der 15 bis 30-jährigen. Über sie liegen besonders viele abgesicherte Studien vor, und danach gehen sie pragmatisch und nüchtern mit ihrer komplexen Lebenssituation um. Sie haben ihren eigenen und eigenwilligen Weg gefunden, mit der Ungewissheit und Unsicherheit in ihrer Biografie umzugehen: Sie haben sich eine offene und suchende Haltung angewöhnt, arrangieren sich unauffällig mit den Gegebenheiten, die sie vorfinden, manövrieren und taktieren flexibel, um sich Vorteile zu verschaffen und gehen an alle Herausforderungen mit einer Mischung aus Pragmatismus uns Neugier heran. Sie rollen alles von ihren ureigenen persönlichen Bedürfnissen her auf, von ihrem Ego, denn nur auf sich selbst können sie sich in diesen unsicheren Zeiten fest verlassen (Hurrelmann und Albrecht 2014; Shell Deutschland 2015).
Diese Merkmale haben den jungen Leuten in den USA das Etikett „Generation Y“ eingebracht, womit das Englische „Why“ gemeint ist, die fragende und suchende Grundhaltung mit der immerwährenden Frage nach dem „Warum“, nach dem Sinn dessen, was man gerade tut. Charakteristisch ist der starke Selbstbezug, eine Art „Egotaktik“, eine opportunistische Grundhaltung, das permanente Abwägen von Alternativen der Lebensführung, der ständige Entscheidungsaufschub, das Kosten-Nutzen-Denken, das zeitweilige selbstverliebte Spielen mit den tausend Möglichkeiten, die man hat und von denen man weiß, dass sie fast alle ins Nichts führen können.
Die Beziehung der Ypsiloner zu ihren Eltern, die mehrheitlich zur Generation der Babyboomer gehören (also 1955 bis 1970 geboren wurden), ist auffällig konstruktiv, ja verbindlich. Die Eltern sind die wichtigsten Verbündeten in der unsicher gewordenen Welt. Sie haben einen sozialen Status erreicht, den man möglicherweise als junger Mensch nicht mehr wird einholen können. Heute besteht eine strategische Allianz zwischen den zwei aufeinander folgenden Generationen, die für die jungen Leute von großer Bedeutung ist, weil sie Sicherheit und Rückzugsmöglichkeiten bietet, aber auch für die Eltern Vorteile bringt, weil sie Anschluss an die moderne Welt halten können und den Medienservice im Haus haben.
Die heutige junge Generation besteht aus digitalen Eingeborenen. Ihre vorherrschende Haltung ist die des subjektiv sensiblen „Umweltmonitoring“, geschult darin, komplexe soziale Systeme zu beobachten und sich an ihnen zu orientieren und wenn nötig, auf sie einzustellen. Die heutige junge Generation ist durch ihre Mentalitätslagerung in der Lage, systemisch zu denken. Sie kalkuliert Vorteile und Nachteile von bestimmten Optionen und hat eine schnelle Auffassungsgabe. Besonders auffällig sind dabei die Reaktionsfähigkeit in komplexen Situationen und die Bereitschaft zum „Multitasking“, also die Fähigkeit, mehrere Tätigkeiten und Funktionen zur gleichen Zeit und parallel nebeneinander zu bewältigen. Das pragmatische Nutzen-Denken ist verbunden mit einem Wunsch nach Harmonie, Treue und Sicherheit. Das alles sind die Spuren der Generationslagerung der heutigen jungen Bevölkerung.
Welche Berufschancen findet die Jugendlichen vor und wie reagieren sie darauf?
Folgende Erkenntnisse über die Berufschancen der Generation Y und ihre Reaktion auf diese Chancen liegen vor, die ich in acht Thesen zuspitze:
1. Der Übergang vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem ist heute lang gestreckt und schwer kalkulierbar.
Beide Systeme sind weit auseinander gedriftet. Die Jugendlichen reagieren darauf strategisch mit Optimierungsstrategien.
Die jungen Leute finden eine schwierige Lage vor: Nur wenige tragfähige Brücken verbinden die beiden Systeme Bildung und Beruf. Wenige Lehrkräfte wissen, wie es in der Berufswelt aussieht. Wenige Unternehmensvertreter kennen die Schule von innen. Nur noch wenige Betriebe, etwa ein Viertel, beteiligen sich an der klassischen dualen beruflichen Ausbildung, die über Generationen hinweg in Deutschland den Königsweg für den Übergang darstellte. Immer größere Anteile der beruflichen Bildung übernehmen inzwischen außerbetriebliche und sozialpädagogische Institutionen.
Die Angehörigen der Generation Y haben bittere Erfahrungen mit ihrer Zukunftsplanung gemacht. In ihre Jugend fällt die Zeit der „Generation Praktikum“. Über 20 Prozent der älteren Ypsiloner bekamen keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Dann folgten in schnellem Wechsel Wirtschaftsboom, der Beinah-Kollaps des Weltfinanzsystems, Eurokrise und wieder kräftiges Wirtschaftswachstum, aber das fast nur in Deutschland. In allen westlichen, südlichen und östlichen Ländern um Deutschland herum herrscht der Krisenmodus mit beängstigend hoher Arbeitslosigkeit weiter vor.
In einer solchen Ausgangslage sind die jungen Leute bemüht, mit allen Mitteln sicherzustellen, dass sie nicht zu den Bildungs- und Zukunftsverlierern gehören. Wenn sich alles ändern kann, rüstet nur eine möglichst gute Bildung für den Ernstfall. Deshalb streben die jungen Leute nach möglichst hohen Schul- und Hochschulabschlüssen. Sie sehen hierin die einzige Chance, das Gesetz des Handelns in der Hand zu behalten, auch wenn die Chancenstrukturen noch so unübersichtlich und unberechenbar sind. Sie achten auf vielfältig verwendbare und verwertbare Abschlüsse, um sich möglichst viele Wege offenzuhalten. Abitur und Studium stehen deshalb bei ihnen hoch im Kurs. Das Spiel mit den Optionen ist gewissermaßen ihre Anleitung zum Glücklichsein in einer Gesellschaft, in der zu frühes Festlegen auf eine bestimmte Karriere immer mehr zum Risiko wird, später mit allem oder nichts dazustehen.
Die jungen Leute suchen deshalb, unterstützt durch ihre Eltern, den Weg der Abschluss- Optimierung. Die Quote der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten an der gesamten Schülerschaft wächst kontinuierlich an. Seit 1995, als die Krise am Arbeitsmarkt begann, stieg der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die das Fachabitur oder das Abitur erwerben, jedes Jahr um fast einen ganzen Prozentpunkt an, während der Anteil des Mittleren und des Hauptschulabschlusses um diesen Wert zurückging. Heute erwerben schon über 50 Prozent aller Schulabsolventen die Hochschulzugangsberechtigung. Das Abitur ist zum Standard geworden.
Die Generation Y besteht aus jungen Leuten, die sich ständig selbst herausfordern. Sie nehmen nüchtern zur Kenntnis, dass ihre Chancen in Wirtschaft und Beruf bis vor kurzem sehr schlecht waren und auch nach der Entspannung am Arbeitsmarkt immer noch unsicher sind. Die große Mehrheit reagiert hierauf durch eine ständige Arbeit an sich selbst. Anders als die Generation vor ihr, die als Generation X nicht viel für den Eintritt in das Berufsleben tun musste, sieht sich die heutige junge Generation ständig herausgefordert. Da sie aber gelernt hat, geduldig abwartend zu suchen und zu sondieren, entwickelt sie auf diesem Weg durchaus einige Raffinesse. Sie rollt alle ihre Lebenspläne von den persönlichen Bedürfnissen her auf, und diese Strategie überträgt sie auf ihren Weg durch das Bildungssystem. Mit List und Tücke versucht sie alles, um das eigentliche Ziel zu erreichen, nämlich gute Abschlusszertifikate zu erwerben. Sie bringt ein hohes Maß von Selbstmanagement bei der Gestaltung der eigenen Bildungslaufbahn auf.
2. Durch diesen Fahrstuhleffekt im Bildungssystem wird die Luft „unten“ dünner.
Mangelnder Bildungserfolg wird zum Existenzproblem. Wer heute keinen Schul- oder Ausbildungsabschluss erwirbt, der hat weitaus schlechtere Chancen als vor 20 oder 30 Jahren, in den Arbeitsmarkt und in eine einigermaßen sichere Berufsposition hinein zu kommen. Er ist ein „Bildungsverlierer“.
Jugendliche aus den niedrigeren sozialen Schichten können eine „Status- Optimierungsstrategie“ nicht umsetzen. Durch die Krise am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt verschärften sich aus diesem Grund die sozialen Unterschiede in den Bildungschancen erheblich. Die McDonald’s Ausbildungsstudien zeigen, dass wir einen beängstigend großen Anteil von „Statusfatalisten“ haben, die nicht mehr an ihren Aufstieg glauben.
Seit den PISA-Studien lässt sich ziemlich genau angeben, welche Mindestschwelle an Fertigkeiten und Fähigkeiten erreicht sein muss, wenn ein Jugendlicher den Anforderungen von Bildung und Gesellschaft nachkommen will. Immer noch etwa sechs Prozent eines Jahrgangs verlassen die Schule ohne Abschluss und etwa ein Zehntel erreicht beim Pisa- Lesetest nicht einmal die unterste Kompetenzstufe. Damit ist man heute „funktionaler Analphabet“. Ein mangelnder Bildungserfolg wird heute zum Existenzproblem.
Nach den Shell Jugendstudien müssen wir mit fast 20 Prozent „Abgehängten“ rechnen. Sie kommen jeweils zur Hälfte aus Familien von Einheimischen und von Zugewanderten, in denen die Eltern selbst einen niedrigen Bildungsgrad und ein geringes Einkommen haben. Diese leistungsschwachen Jugendlichen sind von ökonomischer, kultureller und sozialer Desintegration bedroht. Bildungsarmut führt zu sinkendem Zukunftsoptimismus, niedrigem Selbstvertrauen, die Lebenszufriedenheit leidet und gesundheitliche Risiken wachsen.
Im Einzelnen zeigt die Studie: Die Schere zwischen privilegierten und unterprivilegierten Jugendlichen geht gegenüber früheren Erhebungen weiter auseinander. So berichtet 2015 die Hälfte (50%) der Jugendlichen aus der unteren Schicht, aber nur ein Zehntel (10%) der Jugendlichen aus der oberen Schicht, der erforderliche Schulabschluss für den ins Auge gefassten Wunschberuf habe nicht erreicht werden können. Das ist eine größere Kluft als im Jahr 2002. Nur knapp jeder Zweite kann seine Berufswünsche verwirklichen, jeder andere aber eben nicht. Damit können anhaltende Unzufriedenheit und Versagensgefühle verbunden sein. Die soziale Herkunft spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Während fast zwei Drittel der Jugendlichen aus der oberen Schicht (63%) davon überzeugt sind, ihre beruflichen Wünsche verwirklichen zu können, sind es bei den Jugendlichen aus der unteren Schicht gerade einmal 25%. Die im schulischen Bereich bereits erkennbaren Unterschiede der sozialen Chancen setzen sich also beim Eintritt in die berufliche Laufbahn spürbar fort.
3. Die biografische Bedeutung der Berufswahl steigt.
Der Übergang in den Beruf ist bei den meisten jungen Leuten sozial und emotional stark besetzt. Sie freuen sich darauf, und sie sind deswegen auch einer guten Berufsvorbereitung sehr interessiert. Aber sie sind unsicher, nach welchen Kriterien sie sich entscheiden sollen.
Die Berufswahl ist so etwas wie ein Vermittlungsprozess zwischen der eigenen Biographie und den daraus sich ergebenden persönlichen Perspektiven und der realen beruflichen und sozialen Chancenstruktur. Gelingt der Prozess, dann kann er einen großen Schub für die Persönlichkeitsentwicklung eines jungen Mannes oder einer jungen Frau mit sich bringen. Die lebendige Auseinandersetzung mit dem erwarteten Geschehen am späteren Arbeitsplatz, mit gesellschaftlich unmittelbar wichtigen Produktions- und Dienstleistungsaufgaben, kann Impulse für die schulische Arbeit geben und auch den schulmüden Jugendlichen helfen, die Leistungsanforderungen im Unterricht in neuem Licht zu sehen. Gelingt dieser Prozess nicht, kann die gesamte weitere Persönlichkeitsentwicklung darunter leiden und die weitere Schulkarriere abknicken. Dann kann die schulische Berufsorientierung entgegen aller Absichten zu einem Hemmnis für die Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler werden.
In Zeiten der strukturellen Ungewissheit der Zukunftsplanung sind die Angehörigen der jungen Generation gezwungen, sich verschiedene Berufswege und -inhalte offen zu halten. Sie müssen in der Lage sein, von heute auf morgen ihre Pläne und Strategien zu ändern, weil neue Rahmenbedingungen auftauchen. Die traditionelle biografische Festlegung auf ein „Lebensprojekt“, die für ihre Eltern noch sinnvoll war, ist für die Generation Y unmöglich. Stattdessen muss die Kompetenz entwickelt werden, die sich schnell verändernden, nicht vorhersagbaren beruflichen und sozialen Lebensbedingungen als Opportunitäten und Möglichkeiten der Selbstentfaltung wahrzunehmen.
Diese hohen Ansprüche können schnell überfordern. Die Vielfalt von Optionen macht es nicht leichter, sondern meist schwieriger als in früheren Generationen, genau das Richtige für die Berufswahl auszusuchen. Die hohen Abbruchquoten in der beruflichen Ausbildung und beim Studium – sie liegen bei etwa einem Viertel aller Ausbildungsfälle – sind ein Symptom für die heute so schwierige Passung.
4. Die Eltern haben heute eine Schlüsselrolle bei der Berufsorientierung.
Sie sind die Fürsorge für ihre Kinder gewohnt, sie sind die Vertrauten in allen wichtigen Entscheidungen der Vergangenheit gewesen, und sie sind es nun auch bei Entscheidungen über die Zukunft.
Die junge Generation hat eine enge Verbindung zu ihren Eltern. Mutter und Vater fungieren für sie als soziale Modelle für die Lebensgestaltung, von Konflikten zwischen den Generationen ist selten die Rede. Nach der Shell Jugendstudie fühlt sich nur die Hälfte der befragten jungen Leute gut über die beruflichen Chancen informiert und sieht sich gerüstet, die Berufswahl kompetent vorzubereiten und durchzustehen. Ein Fünftel ist ratlos und überfordert. Viele klagen über ein Defizit an systematischer Aufklärung und Information, vor allem aus dem schulischen Bereich, in dem sie sich durch die Lehrkräfte und durch kooperierende Fachleute der Berufsberatung viel mehr professionelle Beratung und Unterstützung wünschen als sie heute tatsächlich erhalten.
Die Konsequenz aus den Unsicherheiten und Irritationen ist: Einen für die jungen Leute zentralen Teil der Information und Aufklärung leisten deren eigene Eltern. Die Mütter und Väter bemühen sich offenbar sehr erfolgreich, ihre Kinder auf die Besetzung künftiger
Arbeitsplätze vorzubereiten. Laufen aber sehr schnelle und heftige berufliche Modernisierungsprozesse ab, und es kommt zu neuartigen beruflichen Anforderungen – und beides ist zweifellos seit zehn Jahren der Fall gewesen – dann kann die Vorabinformation durch die Eltern natürlich nicht mehr ausreichend sein. Weil die Anforderungen an komplexe Fähigkeiten gestiegen sind, sind möglicherweise auch die im Vergleich niedrigeren Qualifikationsstufen der Eltern nicht mehr ausreichend, um ihre eigenen Kinder gut vorzubereiten.
Deshalb ist den Forderungen der Jugendlichen und ihrer Eltern voll zuzustimmen: Die Berufsvorbereitung gehört zu einem viel größeren Ausmaß in professionelle Hände, als das gegenwärtig der Fall ist.
5. Sicherheit steht an erster Stelle der Erwartungen, sinnvolle Tätigkeit und Erfüllung aber fast gleichauf.
Es entstehen komplex aufgeladene individuelle Erwartungen und Sehnsüchte. In der letzten Shell Jugendstudie waren die zwölf bis fünfundzwanzig Jahre alten jungen Leute aufgefordert, anzugeben, was ihnen eine berufliche Tätigkeit bieten müsse, damit sie zufrieden sind. Es wurden insgesamt elf vorformulierte Aussagen vorgelegt, die verschiedene Erwartungen an das Berufsleben artikulieren.
Die Sicherheit des Arbeitsplatzes steht eindeutig an erster Stelle der Erwartungen an die Berufstätigkeit. Fast alle Jugendlichen beurteilen diesen Aspekt als wichtig für ihre Zufriedenheit mit dem Beruf, davon fast drei Viertel sogar als sehr wichtig. Damit tritt deutlich zutage, dass in Zeiten eines für junge Menschen unsteten und unübersichtlichen Arbeitsmarktes und unter dem Eindruck der gerade erst überwundenen Phase hoher Jugendarbeitslosigkeit, die Verlässlichkeit der Arbeit eine große Rolle spielt. Die sichere Beschäftigung gilt ganz offensichtlich als Grundlage für die Zufriedenheit mit der Arbeit, vermutlich, weil sich in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen nur bedingt eine eigenständige Existenz aufbauen und die weitere Statuspassage nicht planen lässt.
An zweiter Stelle stehen ideelle Aspekte. Neun von zehn Jugendlichen finden es sehr wichtig oder wichtig, in der Berufstätigkeit eigene Ideen einbringen zu können und etwas zu tun, was sie sinnvoll finden. Auffällig hoch rangiert die Erwartung, dass genügend Freizeit neben dem Beruf bleibt. Hier drückt sich der Wunsch aus, durch den Beruf nicht vom genussvollen Leben abgeschnitten zu werden. Die jungen Leute wünschen sich einen guten Ausgleich zwischen Beruf und Freizeit, zwischen Arbeit und Leben.
Welche unterschwelligen psychischen Dimensionen liegen diesen Erwartungen an den Beruf zugrunde?
Um das zu erkunden, haben wir in der Shell Jugendstudie die verschiedenen Erwartungshaltungen in eine Faktorenanalyse eingegeben. Sie ergibt zwei zentrale Dimensionen. Die eine Dimension nennen wir Nutzenorientierung, die andere Erfüllungsorientierung. Beim Nutzen geht es um Sicherheit und Einkommen, bei der Erfüllung darum, eigene Ideen einzubringen, etwas zu tun, was man sinnvoll findet, sich um andere kümmern zu wollen, viele Kontakte zu anderen Menschen zu haben und im Beruf etwas zu leisten.
Die Erfüllungsorientierung ist bei den jungen Frauen deutlich stärker ausgeprägt als bei den jungen Männern. Bei den Frauen treten damit idealistische Aspekte in den Vordergrund. Auch sie haben ein Interesse an einem sicheren Arbeitsplatz, einem ausreichendem Verdienst und Aufstiegsmöglichkeiten. Noch wichtiger ist es ihnen jedoch, etwas zu tun, von dem sie überzeugt sind. Soziale Anerkennung ist ihnen tendenziell wichtiger als materielle Vergütung.
6. Die Arbeit soll sich dem Lebensrhythmus anpassen.
Die jungen Frauen sind die treibende Kraft hinter den Veränderungen an die Berufserwartungen.
Insgesamt sind bei den jungen Frauen die Erwartungen an eine Erfüllung in der beruflichen Tätigkeit deutlich stärker persönlich-emotional aufgeladen und im Profil höher ausgeprägt als bei den jungen Männern, während im Hinblick auf die Nutzenorientierung keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Geschlechtern bestehen. Dies weist darauf hin, dass sich viele junge Frauen nicht zwischen idealistischen und materialistischen Ansprüchen an den Beruf entscheiden wollen, sondern beides zugleich anstreben.
Es sind insgesamt vor allem die jungen Frauen, die eine Aufbruchs- und Umbruchstimmung in das Berufsleben hineintragen. Sie repräsentieren noch deutlich stärker als die jungen Männer den für die junge Generation charakteristischen Wunsch, Arbeit und Leben auf eine neue Weise miteinander zu verbinden. Dahinter steht ihre sehr flexible Gestaltung der weiblichen Geschlechtsrolle mit einer multiplen Kombination aus „Kinder, Küche, Kirche und Kommune“ und zusätzlich Karriere. Die jungen Männer folgen hier zwar allmählich, aber nur zögerlich.
Die Shell Jugendstudie zeigt, wie wichtig es den jungen Frauen ist, ihre durchaus ehrgeizigen beruflichen Ambitionen mit einer eigenen Familie zu verbinden. Schritt um Schritt folgen die jungen Männer jetzt nach. 90 Prozent beider Geschlechter stimmen der Aussage zu, dass Familie und Kinder bei der Arbeit nicht zu kurz kommen dürfen. Rund drei Viertel ist es wichtig, dass sie ihre Arbeitszeit kurzfristig an ihre Bedürfnisse anpassen und Teilzeit arbeiten können, sobald sie Kinder haben. Zwei Drittel der Jugendlichen wünschen sich eine Arbeitszeit mit klar geregeltem Beginn und Ende. Sie sind bereit, für entsprechenden Freizeitausgleich in der Woche auch am Wochenende zu arbeiten. Knapp drei Fünftel der Jugendlichen stimmen der Aussage zu, dass es ihnen wichtig ist, einen Teil der Arbeit auch von zu Hause aus erledigen zu können. Für fast die Hälfte der Jugendlichen gehören Überstunden einfach dazu, wenn man in seinem Beruf etwas werden will.
Obwohl sich die Einstellungen annähern, treten die jungen Frauen nicht nur besser qualifiziert und mit deutlich größeren Erwartungen an das Berufsleben heran als die jungen Männer, sondern darüber hinaus legen sie auch mehr Wert darauf, dass der Beruf nicht vollständig alles Private dominiert. In der Shell Studie nennen wir die jungen Frauen die „Durchstarter“, die „alles“ im Beruf wollen, gleichzeitig aber auch „alles“ außerhalb des Berufs. Es ist also keinesfalls so, dass ihre besonders positiven Empfindungen zu Familie und Kindern zu einer beruflich weniger ehrgeizigen Haltung führen. Im Gegenteil sind sie es, die auch beruflich anspruchsvoll und fordernd sind. Die Berufs- und die Familienorientierung hängen bei ihnen eng miteinander zusammen.
7. Die Orientierung an konkreten, praktisch greifbaren Berufsbildern wird schwieriger.
Deswegen steigt die Attraktivität des Studiums.
Wie schon erwähnt wurde, sind den jungen Leuten die Vorteile einer beruflichen Ausbildung nach dem Dualen System nicht mehr evident. Dieser seit Jahrzehnten als Königsweg der deutschen Berufsqualifikation gerühmte Weg erscheint ihnen zwar nach wie vor interessant und abwechslungsreich, aber er schneidet bei entscheidenden Kriterien im Vergleich zu der immer mehr an Bedeutung gewinnenden Ausbildung über den Weg des Hochschulstudiums ambivalent ab. Die McDonalds-Studie macht deutlich: Nach Einschätzung der jungen Leute bietet die berufliche Ausbildung im Kontrast zu einem Studium einen geringeren Grad an Eigenverantwortlichkeit, sichert weniger Aufstiegsmöglichkeiten, enthält geringere Verdienstchancen, gewährt nur ein weitaus niedrigeres Ansehen und ist einfach nicht so attraktiv und im Trend liegend.
Mit der Tendenz zum Abitur hat der Übergang in die berufliche Ausbildung seine vormals dominante Stellung verloren. Er ist nicht mehr der Königsweg in den Beruf. Immer mehr junge Leute streben in die Hochschulen. Dort gibt es zwar heute mit Tausenden von Studiengängen eine noch weit unübersichtlichere Lage als in der beruflichen Ausbildung, aber im Unterschied zur beruflichen Ausbildung muss sich ein junger Mann und eine junge Frau nicht schon früh festlegen, welchen Beruf er oder sie einschlägt – und das ist in Zeiten unübersichtlicher Karriereplanungen für die jungen Leute außerordentlich attraktiv.
8. Weil die Bildungs- und Berufsperspektiven so offen sind, weil so viele Optionen bestehen, wollen die Angehörigen der jungen Generationen ein hohes Maß von Eigenverantwortung und Selbstmanagement bei der Gestaltung der eigenen Bildungslaufbahn besitzen. Jeder junge Mann und jede junge Frau will im Idealfall zu einem oder einer Bildungsselbstständigen werden und sich so etwas wie ein cleveres Geschäftsmodell für das Unternehmen „Ich“ zurechtlegen.
Im Beruf machen Arbeitsmarktforscher einen Trend zu einem „verbetrieblichten Arbeitskraft- Unternehmer“ aus, der selbstständig seine Arbeitskraft entwickelt und sie Unternehmen anbietet. Parallel dazu sind die Angehörigen der Generation Y auf dem Weg zu einer Art „Lernkraft-Unternehmer“, die ihre Fähigkeiten und Kompetenzen selbst managen. Sie werden, unterstützt durch die digitalen Möglichkeiten, zu Bildungsmanagern in eigener Sache.
Individualistisch wie die Generationen Y und Z ausgerichtet sind, haben sie in Schule, Ausbildung und Hochschule bereits vielfach durchgesetzt, dass der Lernstoff und die Lernmethode auf ihre persönlichen Bedürfnisse abgestellt werden und auch die Lehrkräfte persönlich auf sie eingehen. Sie sind durch ihre permanente Arbeit am Computer und insbesondere durch ihre intensive Spieltätigkeit gewohnt, regelmäßiges Feedback zu erhalten und Schritt für Schritt in ein Thema einzusteigen. Sie wissen, dass es moderne und flexible Methoden der Selbsteinschätzung von Fähigkeiten und Fertigkeiten gibt, und sie fordern deren Einsatz auch im schulischen Bereich heraus. Sie haben Erfolg damit: Individuelle Diagnosen des Lern- und Leistungsstands und ebenso individuelle Angebote für die Förderung des Weiterkommens und die Lösung von Herausforderungen prägen immer mehr das Bildungssystem.
Die digitale Revolution ist ein Verbündeter der Generation Y, deren Mitglieder dadurch selbst zu „evolutionären Revolutionären“ werden. Schulen, Ausbildungszentren und Hochschulen verändern dadurch ihren Charakter und entwickeln sich in Richtung von Agenturen, die gemeinsam von Lehrkräften, von außerhalb kommenden Fachleuten und den lernenden Jugendlichen selbst betrieben werden. Die Ypsiloner legen Wert darauf, produktiv sein zu können und aus der Passivität von Lernempfängern herauszutreten. Schon in der Schule wollen sie bestimmte Produkte und Dienstleistungen erstellen, die für ihre eigene Bildung nützlich sind, aber auch für die Nachbarschaft und das Gemeinwesen. Von ihnen selbst mitbetriebene Schülerfirmen und Studierendenfirmen sorgen dafür, mit Betrieben und Einrichtungen außerhalb der Schule zusammenarbeiten.
Kommt diese junge Generation in der Berufswelt an, dann will sie ihre Investitionen in den langen Bildungsweg auch amortisieren. Oberstes Ziel ist es nun, sich persönlich einzubringen, Erfüllung und Freude in der Berufstätigkeit zu haben, eine sinnvolle Aufgabe zu erhalten und vom ersten Tag an irgendwelche wichtigen Dinge zu tun und Spuren zu hinterlassen.
Die Ypsiloner wollen mit ihren persönlichen Interessen und Neigungen in die berufliche Tätigkeit hineingehen. Auch Aufstiegschancen und materielle Absicherung spielen eine Rolle, stehen insgesamt aber nicht an erster Stelle. Die meisten wünschen sich freie und selbstbestimmte berufliche Tätigkeiten und die Möglichkeit, sich durch den Beruf in der Privatsphäre nicht vollständig einengen zu lassen (Bund 2014).
Fazit
Das duale berufliche Ausbildungssystem, das gegenwärtig bei den Meinungsführern der jungen Generation, vor allem den Frauen, nicht hoch angesehen wird, sollte sich das Ziel setzen, die starke und frühe Berufsbezogenheit, die es anbieten kann, als eine wesentliche Grundlage für die selbstverantwortliche Lebensplanung, Selbstverwirklichung und Identitätsentwicklung für Jugendliche darzustellen. Die persönlichkeitsbildende Bedeutung der Berufstätigkeit sollte erfahrbar werden. Da Jugendliche heute hohen Wert auf die ideellen Aspekte der Berufstätigkeit legen, sollten die Möglichkeiten im beruflichen Ausbildungssystem gestärkt werden, kreativ und eigenständig zu arbeiten und eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten in die Tätigkeit einzubringen. Geschieht das nicht, wird das akademische Studium immer mehr an Boden gewinnen, denn es erfüllt alle Wünsche an Offenheit der Planung, Flexibilität der Berufsvorbereitung und Selbstfindung, die Ypsiloner heute haben.
Statt gegen das Abitur anzutreten, sollten in den kommenden Jahren alles unternommen werden, um das Duale System akademisch anschlussfähig zu machen. Zwar ist es richtig und wichtig, die Gymnasien berufsnäher auszurichten, aber gleichzeitig sollten wir endlich eine Aufwertung der weiterbildenden Schulen neben dem Gymnasium vornehmen. Nach der Grundschule sollten neben dem Gymnasium nur noch integrierte Sekundarschulen angeboten werden, die aus einer Zusammenlegung von Hauptschulen, Realschulen und Gesamtschulen entstanden sind. Diese Sekundarschulen sollten ebenso wie das Gymnasium alle Abschlüsse einschließlich des Abiturs anbieten, für ihr Bildungsprogramm aber einen anderen pädagogischen Weg als das Gymnasium wählen. Sie sollten ihre Schülerinnen und Schüler nicht vom ersten Tag an einer Hochschullaufbahn orientieren, sondern sie auf das gesamte Spektrum von beruflichen Ausbildungen aufmerksam machen.
In der Oberstufe sollte sich dieses „Zwei-Wege-Modell“ konsequent fortsetzen und auf mittlere Sicht in einer Kollegstufe widerspiegeln, die sich von der Gymnasialen Oberstufe unterscheidet und die Traditionen von Berufsschulen und Berufskollegs aufnimmt. Das Duale System der Berufsausbildung kann dann zu einem Bestandteil der Oberstufe weiterentwickelt werden und Abschlüsse anbieten, die auch einen Übergang in eine Hochschulausbildung anbieten. Die Verbindung des Dualen Systems der Berufsausbildung mit dem Hochschulsystem sollten wir verstärken. Das stellt die Fortsetzung des Zwei-Wege-Modells im Hochschulsystem dar. Hierdurch kann jedem und jeder Auszubildenden plausibel gemacht werden, dass eine Berufsausbildung einen Übergang in die akademische Ausbildung nicht verschließt, sondern unter bestimmten Bedingungen sogar fördert. Die „Dualen Hochschulen“, die in vielen Bundesländern schon weit verbreitet sind, bieten eine ideale Möglichkeit, Duale Berufsausbildung und Hochschulstudium zusammenzuführen.
Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann „Was erwarten Jugendliche vom Berufsleben?“ 11
Literatur
Bund, Kerstin (2014): Glück schlägt Geld. Generation Y: Was wir wirklich wollen. Hamburg: Murmann Verlag.
Hurrelmann, Klaus; Albrecht, Erik (2014): Die heimliche Revolutionäre. Weinheim: Beltz
Hurrelmann, Klaus; Bauer, Ullrich (2015): Einführung in die Sozialisationstheorie. Weinheim: Beltz, 11. Auflage
Hurrelmann, Klaus; Quenzel, Gudrun (2013): Lebensphase Jugend. Weinheim: Beltz Juventa
Illies, Florian (2001): Generation Golf. Frankfurt: Fischer
Mannheim, Karl (1964): Das Problem der Generationen. In. Mannheim, Karl, Wissenssoziologie. Hg. von Kurt H. Wolff. Neuwied: Luchterhand, S. 509 – 565
McDonald’s Deutschland (Hg.) (2013): Die McDonald’s Ausbildungsstudie 2013. Pragmatisch glücklich: Azubis zwischen Couch und Karriere. München: McDonald’s
Schelsky, Helmut (1963): Die skeptische Generation. Düsseldorf: Diederichs
Shell Deutschland (Hg.) (2015): Shell Jugendstudie 2015. Frankfurt: Fischer
Schneider, Hilmar (2013): Ausblick: Was braucht die Arbeitswelt von Morgen? In: Christine Henry- Huthmacher und Elisabeth (KAS) Hoffmann (Hg.): Duale Ausbildung 2020. 14 Fragen & 14 Antworten.
World Vision Deutschland (2013): Kinder 2013. Weinheim: Beltz
Beitrag von Petra Elias