Die am 05.12.2023 veröffentlichten Pisa-Ergebnisse sind weniger ein Schock als ein sich abzeichnendes Ergebnis seit Jahren ausbleibender Weichenstellungen im Bildungssystem. Wir waren vielleicht von der Stärke der Effekte überrascht, aber Elternvertreterinnen und Elternvertreter mahnen gemeinsam mit Bildungsexperten seit Jahren kritische Fehlentwicklungen und ausbleibende Maßnahmen an. Für uns zeigen die Pisa-Ergebnisse drei wesentliche Aufgaben und Herausforderungen auf.
Die Ergebnisse unterstreichen erstens dramatisch die immensen Herausforderungen, vor denen das sächsische Bildungssystem steht:
- Massiver Personalmangel in Schule, Hort und KiTa,
- ein Investitionsstau in Gebäuden, Turn- und Schwimmhallen, der erst in den letzten Jahren langsam angegangen wird,
- fehlende Evaluation und Wissen über Problemfelder,
- fehlende effektive Unterstützungssysteme für Kinder mit Förder- und Hilfsbedarf,
- fehlende vorschulische Unterstützung für Kinder mit Bedarfen zum Beispiel im Bereich Sprache,
- stark verbesserungsbedürftige Lehrpläne und
- ausbleibende Konzepte zur Medienkompetenz und Digitalisierung.
All diese Herausforderungen sind nicht neu, werden auch vom KreisElternRat Leipzig schon seit Jahren benannt. Wir müssen diese Herausforderungen endlich mit Entschlossenheit und Kraft angehen
Die Pisa-Ergebnisse weisen uns zweitens aber auch auf die zwingende Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Diskurses über die Zielsetzung von Bildung hin. Was soll Bildung erreichen? Was sollen unsere Kinder lernen? Natürlich sind Grundlagen und basale Fähigkeiten unbedingt notwendig. Eigenverantwortung, Selbstständigkeit und Persönlichkeitsentwicklung lassen sich aber viel schlechter in auswertbare Zahlen übertragen. Ein starker Fokus auf quantifizierbare Leistungserbringung wie er in einigen asiatischen Ländern mit großem Pisa-Erfolg Gang und Gäbe ist, führt dort zu hohen Selbstmordraten sowie psychischen Belastungen unter Schülerinnen und Schülern. Schulangst, Depressionen und psychischen Erkrankungen steigen schon jetzt in Sachsens Schulen. Wir müssen uns offen und kritisch miteinander ins Benehmen setzen, was wir in Schule erreichen wollen, und wir dürfen nicht das Kind mit dem Bade auskippen.
Letztlich und drittens zeigen die am 05.12.2023 veröffentlichten Resultate aber in aller Deutlichkeit, dass es ein „Weiter so“ nicht mehr geben kann. Strukturelle und personelle Weichen müssen umgehend anders gestellt werden. Wir fordern die zuständigen Ministerien und Landesämter auf sich unverzüglich kritisch mit dem Erreichten und den Maßnahmen der letzten mindestens 10 Jahre auseinanderzusetzten. Jeder Stein muss gewendet werden und die Menschen in Verantwortung müssen sich in Demut mit Ihrer eigenen Leistung auseinandersetzen. Es kann nicht sein, dass als erste Reflexe Ausreden gesucht und Kinder mit migrantischem Hintergrund und Kinder mit Förderbedarfen im Bereich Sprache stigmatisiert werden, anstatt sich kritisch mit den eigenen Unterlassungen in diesem wichtigen Themenfeld der Fördersysteme und den ungerechten Bildungsstrukturen auseinanderzusetzen. Seit Jahren weisen Forscherinnen und Forscher im Bildungsbereich wie z.B. Aladin El-Mafaalani darauf hin, dass sich gerade im Bereich der Integration, der Förderung und Forderung sowie der Bildungsgerechtigkeit entscheidet, wie gerecht, fair und gut unser Bildungssystem ist.
Die Philosophin Martha C. Nussbaum hat einmal geschrieben „Bildung ist der Schlüssel zu allen menschlichen Fähigkeiten und zur menschlichen Entwicklung“. Kombiniert mit dem wunderbaren Gedanken von Hannah Ahrendt, „mit jedem Menschen, der geboren wird, kommt die Chance zu einem Neuanfang, zur Umkehr und zur Besinnung in die Welt“ ergibt sich die gesamtgesellschaftliche Verpflichtung für jedes Kind, welches hier geboren wird oder zu uns kommt, diese immer wieder wunderbare neue Chance zu ergreifen und mit bestmöglicher Unterstützung, Förderung und Bildung allen Kindern die Möglichkeit zu geben Fähigkeiten zu erlernen um ein gutes und selbstbestimmtes Leben zu führen – in unser aller Interesse, im Interesse einer modernen, leistungsfähigen und demokratischen Gesellschaft!
Pressemitteilung als pdf:
KER Leipzig Pressemitteilung zu den Pisa-Ergebnissen vom 05.12.2023