Die gleißende Sonne des Februartages lässt den Schnee nicht schmelzen. Drinnen im Konferenzsaal des Hygiene Museum in Dresden ist jeder Platz besetzt. Es soll um Seiteneinsteiger, neue Lehrer gehen: „Seiteneinsteiger Notlösung oder Bereicherung für das sächsische Schulsystem“, so die Ankündigung des 9. Schulpolitischen Forums der CDU . Aller zwei Jahre öffnet Bildungsfraktionssprecher Lothar Bienst die Debatte und lädt interessierte Bürger aus ganz Sachsen ein. Da sind die Lehrerverbände Sachsens, die Personalräte der Schulen, Lehrer, die Bildungsagenturleiter Bautzen und Dresden, Mitglieder des Landtages, Seiteneinsteiger und zwei Elternvertreter aus Leipzig.
Doch zunächst hat Kultusministerin Frau Brunhild Kurth das Wort. Sie stellt die Prognosen bis 2030 vor. Bis 2025/26 sind 15.000 Lehrerstellen der jetzigen 30.800 Stellen neu zu besetzen. Das macht im Schnitt über acht Jahre verteilt 1875 neu zu besetzende Lehrerstellen. An der Stelle ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass hier von Stellen und nicht von Personen gesprochen wird. Mancher Lehrer zieht die Teilzeitstelle vor und schon könnten wir von 4500 Lehrerpersonen pro Jahr sprechen. Zur Zeit hat Sachsen 1 368 öffentliche Schulen, Tendenz steigend. Nach Adam Riess ergibt dies ca. neue 1,3 Stellen pro Jahr im Lehrerkollegium. Doch das sind nur die Lehrerstellen die in Rente gehen. Hinzukommen noch Referendare Praktikanten und Seiteneinsteiger. Das können also locker drei bis vier Personen pro Schule und Jahr sein.
Für jeden neuen Kollegen braucht es Einarbeiter
Jeder, der schon mal neue Kollegen in die Abteilung einarbeiten durfte, weiß, was dies für ein zusätzlicher Aufwand bedeutet. Wenn es sich jedoch dabei um Seiteneinsteiger handelt, wird der Aufwand erheblich größer. Daher hat das Kultus seine Seiteneinsteigerstrategie geändert. Doch dazu später.
Frau Kurth ist froh. Die Hochschulen sind zum Staatsexamen im Lehramt zurück gekehrt. Sie habe ein Novum erreicht, spricht sie weiter. „Es sind Zielvereinbarung mit den Hochschulen und dem Kultus zur Lehrerausbildung ausgehandelt worden. So etwas hat es in der Bundesrepublik noch nicht gegeben.“ Pro Jahr werden 1750 neue Lehrerstudienplätze nach Fächerkombinationsbedarf eingerichtet. „Neu sind in 2016/17 2000 Lehramtsstudienerde immatrikuliert worden.“
„Die Zielvereinbarung werden sogar noch einmal angeglichen“, führt sie fort, „auf mindestens 2300 auf Fächerkombinationen runter gebrochen“. Jedoch hat dies auch eine Schattenseite. Dies Anzahl an Studierenden benötigen auch Dozenten und Seminarräume. Es bedarf an Referendarstellen in den Schulen, was wiederum Stunden der Lehrkräfte bindet, die als Fachberater und Mentoren die neuen begleiten. Wie hoch dieser Personalbedarf sein wird, lässt Frau Kurth offen.
Hochschulvereinbarung mit dem Kultus zu optimistisch?
Später hat Prof. Dr. Axel Gehrmann von der TU Dresden Lehramtsausbildung das Wort und kann es sich nicht verkneifen, die Zielvereinbarung mit den Hochschulen als zu optimistisch zu bezeichnen. 85 % der Studierenden erwartet das Kultus am Ende des Studiums. Dabei belegen Studien, dass die Abschlussquote unter Studenten seit Jahrzehnten um die 60 % liegt. Damit liege die Unterdeckung zu Beginn des Projektes schon bei 40 %.
Die Kultusministerin will auch die Attraktivität des Lehrerberufes erhöhen. Sie bittet „den Lehrerberuf nicht nur auf das Gehalt reduzieren“. In den Grundschulen habe das Kultus für das kommende Schuljahr den Stundenumfang pro Lehrerstelle von 28 auf 27 Stunden gekürzt. „Wir haben angeglichen.“ Der Vorwurf Sachsen habe die höchste Unterrichtsbelastung im Bundesvergleich sei damit vom Tisch.
Die Gehaltsstufe E13 ist für Oberschullehrer dem der Gymnasiallehrer angeglichen.
„Wie können wir Abläufe in den Schulen so verbessern, das sich Lehrer mehr den Hauptaufgaben zu widmen?“ fragt die Ministerin und betont, dass dies eine der weiteren Aufgaben des Kultus sei. Die Wertschätzung des Lehrerberufes sei jedoch auch eine durch die Gesellschaft zu erbringende Leistung. „Die Keimzelle der Gesellschaft ist die Familie. Die Erziehung der Kinder findet in der Familie statt“, schließt sie ihren Vortrag.
Prof. Gehrmann ist Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Lehrerbildung , Schul- und Berufsbildungsforschung der TU Dresden. Seit 19 Monaten leitet er das QUER-Programm. Darin sind 40 Lehrer Landesweit befragt worden. Er hat sich besonders der Frage gewidmet: „Was können wir von den Seiteneinsteiger erwarten?“
Zunächst betrachtet der Direktor die Vergangenheit. Nur 24 % der Lehrerschaft seien in über 20 Jahren an den Universitäten in Sachsen ausgebildet worden. „Es gibt an der TU Dresden keine Professur für die Lehrerausbildung in den Fächern wie Geografie oder WTH“, führt er aus. Er halte die „Umwidmung der Professuren“ für keine Lösung. „Sobald Dozenten längerfristige Verträge bekommen können, sind diese weg.“
Er fordert in ¨jedem Fach im Seiteneinstieg mindestens eine abgeordnete Lehrkraft¨. Jetzt spricht er Frau Kurt direkt an. „Sie bekommen für die nächsten fünf Jahre ein finanzielles Programm. Jedoch ohne wissenschaftliche Begleitung geht das nicht. Ohne Evaluierung ist dies fatal.“ Was das System leistet oder nicht, wird zur Zeit nicht erhoben, tadelt Prof. Gehrmann.
Seiteneinsteiger kommen zu Wort
Nach der Pause sollen die Seiteneinsteiger aus Grund-, Ober- und Berufsschule zu Wort kommen. Bildungspolitischer Sprecher Der CDU-Fraktion Lothar Bienst beginnt: „Es gäbe nicht den Politiker, sondern Fachpolitiker die was mit Schule zu tun haben. Man habe die Situation 2009 schon kritisch betrachtet und intensive Gespräche geführt.“
„Finanzen spielen natürlich eine große Rolle. Trotz kritischer Begleitung durch die Fachpolitiker konnten wir uns nicht durchsetzten, zu dem Zeitpunkt Lehrer anstellen. Wir versuchen alles Mögliche, z. B. durch die Fortbildungsmaßnahmen, dass wir den Seiteneinsteiger an die Hand nehmen, damit der Seiteneinsteiger auch bleibt,“ erläutert Lothar Bienst seine Position. „Wir sitzen doch alle in einem Boot, das wir Seiteneinsteiger versuchen zu gewinnen, zu qualifizieren und zu halten.“
Bildungsagenturleiter Mathias Peter aus Bautzen steigt in die Diskussion ein: „Das Grundlegende Handwerkszeug muss da sein, bevor sie [Seiteneinsteiger] vor der Klasse stehen. Das sie vor der Klasse bestehen und es ist wichtig für den Bildungserfolg für die Schüler. Es ist nicht gut Menschen ohne grundständige Ausbildung vor eine Klasse zu stellen.“
Seiteneinsteiger Michael Janze ist mittlerweile Lehrer an der Max-Militzer-Grundschule in Bautzen. Als er aus der Oberschule kam, sagte man ihm, er würde nur in den Klassen drei und vier unterrichten. Er wurde jedoch in den Anfangsunterricht gesteckt, obwohl er dafür nicht qualifiziert sei. Natürlich haben er sich um Fortbildung bemüht. Jedoch habe er die Fortbildung nicht bekommen, weil er eben nicht genügend qualifiziert war.
Herr Bienst läd die Anwesenden in, die Probleme offen anzusprechen. Er muss um die Probleme erst einmal wissen. Das Amt sei überfordert und weiß es nicht, oder kann nicht reagieren, gibt er zu. „Systemische Probleme müssen wir erfassen.“
Dem kommen zwei DaZ Lehrer nach. Sie haben seit November 2015 mindestens fünf Ablehnungen für Bewerbungen zu Qualifikation erhalten. Zudem müssten sie jederzeit um die Weiterführung das Jobs bangen. Perspektivisch wurde ihnen die Festanstellung versprochen. Sie seien jung. Sie seine qualifizierbar. Sie haben DaZ studiert. Sie würden ständig vertröstet, berichtet die junge Frau mit Beben in der Stimme.
Ein systemischer Fehler?
Das Mitglied des Landtages Patrick Schreiber versucht sich in einer Antwort. Es werden in den Vorbereitungsklassen ständig weitere Plätze bereitgestellt. Jedoch seien DaZ-Lehrer und Seiteneinsteiger nicht dasselbe. Für so was ist die Verwaltung zuständig. Als Mitglied des Landtages habe er keine Chance Verwaltung zu kontrollieren. „Das ist Aufgabe des Ministeriums.“
Ein anderer Seiteneinsteiger weist darauf hin, das 45 min für Hospitation nicht ausreichen, um die Unterrichtsstunde danach auch durchzusprechen. Es sei keine Zeit für ein Feedback eingeplant. Spätestens jetzt ist der Ausdruck „systemischer Fehler“ zum Gegenstand der Veranstaltung geworden.
Herr Bienst führt dagegen aus: „Wir könnten mehr Stunden geben, jedoch bedeutet dies, dass diese Stunden im Gesamtpool fehlen. Die wenigen Lehrer würden noch weniger Stunden für Schüler haben.“ „Beißt sich da nicht die Katze in den Schwanz?“, mag da mancher im Saal denken.
Elternsprecherin der Leipziger Schulen Petra Elias fragt nach der Wertung Stunden. „Zählen diese in den Stundenpool einer Schule mit hinein, solange die Ausbildungsphase der Seiteneinsteiger dauert“, fragt sie. Von Patrick Schreiber erhält sie die Zusage: „Die Stundenzahl der Seiteneinsteiger zählt nicht in den Stundenpool der Schule ein. Er ist tatsächlich Null für die Schule.“ Die Wertung der Zeit der Ausbildung sein nach dem neuen Modell dem Referendare gleich. Die neue Generation Seiteneinsteiger stehe zunächst nicht im Unterricht. Drei Tage seien sie an der Uni, um das pädagogische Handwerk zu lernen, zwei an der Schule zum hospitieren. Die Ausbildung dauert drei Monate. „Damit kann die Schulleitung also einen Ersatzlehrer für diese Zeit bei der Bildungsagentur beantragen,“ hakt Frau Elias nach und erhält Zustimmung.
„Die Arbeitsbedingungen sind an der Überlastungsgrenze“
„Die Arbeitsbedingungen sind an der Überlastungsgrenze“, stellt Referentin für Tarif- und Beamtenpolitik der GEW Sabine Gerold fest. „Mit einer Abminderungstunde ist es nicht getan.“ Ihr wird zugesichert, das von Seitens des Ministerium diese Information aufgenommen werden. Die Entlastung der Lehrer sei in der Diskussion und definitiv vorgesehen. Herr Bienst nutzt die Gelegenheit und führt aus: „Eine Verbeamtung sei nicht vorgesehen, weil die Mehrheit fehlt.“
Draußen scheint noch immer die Sonne, als sich die Elternvertreter aus Leipzig wieder nach Hause fahren. Geschockt ist Frau Elias durch einen Bericht eines Seiteneinsteigers der ersten Generation. Der junge Mann wollte seinen Namen und auch den der Schule nicht nennen. Er sehe keine Schuld im Lehrerkollektiv, bei dem was er an dieser Schule erleben musste. Der Fehler sei ein systemischer. Die Menschen im Saal schwiegen zu seinem Bericht. Nur Lothar Bienst konnte es sich nicht verkneifen eine abwertende Bemerkung zu machen. Seine Worte: „Seiteneinsteiger an die Hand nehmen, damit der Seiteneinsteiger auch bleibt“ hat er wohl schon wieder vergessen.
Keine Experimente mit unseren Kindern
Den Elternvertretern aus Leipzig ist mulmig. Wer wird in Zukunft vor den Schülern stehen? Sie denken da auch an den Bericht der Schüler einer 8. Klasse aus Leipzig, die zum Halbjahreszeugnis alle eine fünf im gleichen Fach hatten. Der Lehrer sei mit den Kindern nicht klar gekommen und nicht für den Lehrerberuf geeignet, ist keine zufriedenstellende Aussage vom Bildungspolitischen Sprecher der CDU. Peggy Grzelak und Petra Elias hoffen, dass es sich dabei auch in Zukunft nur um Ausnahmen handeln werde. „Keine Experimente mit unseren Kindern“, darin sind sie sich einig.
Bericht Petra Elias, Dresden, 4. Februar 2017