Quelle: LVZ Schlingel Grundschulserie
„Schule ist für Kinder da“
Demokratie fängt im Kindesalter an – erst recht in der Schule, die neben Wissen auch Eigenverantwortung und demokratische Grundprinzipien vermitteln soll. Wie können sich SchülerInnen und Eltern demokratisch in den Schulalltag einbringen? Wann wird es zu viel? Und haben Freie Schulen bei der Mitbestimmung etwas voraus?
„Eine demokratische Schul- und Unterrichtsentwicklung fördert das Selbstwirksamkeitserleben, die Autonomie und Mündigkeit der SchülerInnen,“ sagt Bernd Wagner, Professor an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Gerade in der Grundschule sei es Wagner zufolge wesentlich, nicht nur etwas über Demokratie zu lernen, sondern Demokratie als eine Gesellschaftsform zu verstehen, die durch persönliches Engagement möglich wird und weiterentwickelt werden kann. Eine aktive Mitgestaltung des Schulalltags ist also wünschenswert. Aber wie?
SchülerInnen wollen mitreden
Der Wille ist da. Das zeigt eine repräsentative Befragung von SchülerInnen für den KiKA-Themenschwerpunkt „Respekt für meine Rechte Schule leben!“. Von Februar bis März 2019 wurden dafür 1296 Erst- bis SechstklässlerInnen zum Schulalltag befragt. Das Ergebnis: Kinder wünschen sich mehr Mitsprache in der Schule, zum Beispiel bei der KlassensprecherInnen-Wahl (94 Prozent), der Gestaltung des Klassenraums (90 Prozent) oder wofür das Geld der Klassenkasse verwendet werden soll (86 Prozent). 65 Prozent der Kinder möchten auch bei der Gestaltung des Unterrichts mitreden dürfen.
„Eine wichtige Erkenntnis ist, Kinder gehen gerne zur Schule. Sie begreifen Schule als einen Ort für soziale Begegnungen, sie freuen sich auf Freunde, Schulkameraden und LehrerInnen“, erläutert Dr. Astrid Plenk, Programmgeschäftsführerin des Kinderkanals von ARD und ZDF. „Das bedeutet aber auch, dass sie sich dort wohlfühlen möchten und einbringen wollen“
Schule ist für Kinder da – auch nach dem Gesetz
Roman Schulz unterstützt den Mitwirkungsgedanken. Der Sprecher des Sächsischen Landesamtes für Schule und Bildung hat eine einfache Antwort auf die Frage „Warum ist die Mitwirkung von Eltern und Schülern im Schulalltag wichtig?“ – „Gute Schule bezieht alle am Bildungsprozess Beteiligte ein“, sagt er, „Ganz knapp: Schule ist in erster Linie für Kinder da.“ Zur bestmöglichen Förderung der Schüler sei daher die die Berücksichtigung ihrer Interessen immer von Vorteil. Es könne die pädagogische Arbeit auch unterstützen, wenn man die Interessen und Wünsche der Eltern einbezieht. Vielen Grundschulen in Leipzig würde das schon gut gelingen.
In Leipzig können Eltern und Schüler sich im Zweifel sogar auf das Gesetz berufen. Sachsen ist das einzige Bundesland, das die Eltern- und Schülermitwirkung im Schulgesetz (SächsSchulG) fest verankert hat. Roman Schulz nennt die Paragrafen 45 bis 50, die eine Elternmitwirkung regeln, sowie die Paragrafen 51 bis 57 für die Schülermitwirkung. Dazu regelt die Elternmitwirkungsverordnung die Rechte und Pflichten der Elternvertretung.
Die Eltern: Zuhörer, Fragesteller, Berater
Vor allem in der Grundschule ist das Engagement der Eltern gefragt, die sich für die Interessen ihrer Kinder einsetzen. „Eigentlich kann man es nicht genug wiederholen“, sagt die Vorsitzende des Leipziger Stadtelternrats, Petra Elias, „engagierte Eltern bereichern tatsächlich den Schulalltag“. Ihre Interessen zu bündeln ist Aufgabe des Stadtelternrats. „Wir unterstützen Eltern darin, sich aktiv und konstruktiv in Schule einzubringen und stehen im engen Kontakt mit den Entscheidern der Stadtverwaltung und dem Landesamt für Schule und Bildung hier in Leipzig. Wir sind aufmerksame Zuhörer, Fragesteller und Berater.“ Petra Elias koordiniert 25 Elternvertreter, die ihre Expertise in Arbeitskreisen, Arbeitsgruppen, Koordinierungsstellen, Steuerkreisen, Beiräten und Ausschüssen einbringen.
Auch der Schulalltag lebt von der Mitwirkung der Eltern, etwa bei Klassenfesten oder Projekten – manchmal in Elternfördervereinen. „In der Kita wird völlig selbstverständlich davon ausgegangen, dass Eltern sich einbringen“, so Petra Elias. „Doch sobald die Kinder in die Schule kommen, ist es üblich, dass Eltern sich aus Bereichen zurückziehen, die jetzt der Lehrer übernimmt. Was in der Schule passiert, nehmen Eltern oft als Blackbox wahr. Dennoch sind beide, Lehrer und Eltern, mit guten Absprachen aufeinander angewiesen.“
Hier können erfahrene Elternvertreter helfen, die als Mittler auftreten. Elternvertreter können sich beispielsweise durch Elternmitwirkungsmoderatoren schulen lassen. „Das sind selbst Eltern mit Kindern an sächsischen Schulen. Elternvertreter können helfen, die Blackbox für beide Seiten heller und verständlicher zu machen.“
Wann wird Mitgestaltung zu Einmischung?
Mitunter gehen die Interessen konträr und manche Bereiche des Schulalltags können einfach nicht verhandelt werden. Dazu gehören die pädagogischen Bereiche, die gesetzlichen Bestimmungen unterliegen, zum Beispiel die Bewertung und Zensierung. Hier gibt es klare Regeln, an die sich alle halten müssen – und kein Mitspracherecht für Eltern und Schüler.
Petra Elias sieht Konfliktpotenzial ohnehin woanders. „Negativ wird Einmischung auf Seiten der Lehrer und der Eltern empfunden, wenn Informationsflüsse ins Stocken geraten, mit Halbwissen gearbeitet wird und Prioritäten unterschiedlich gesetzt werden.“ Missverständnisse und mangelnder Austausch seien Gründe für Probleme. “Hier hilft nur miteinander reden. Doch im Schulalltag ist dafür bisher viel zu wenig Zeit eingeplant. Auch dafür setzt sich der Stadtelternrat ein.“
Baumeister seiner selbst: Mitgestaltung an Freien Schulen
Und was ist mit den SchülerInnen selbst? „Gerade in der Grundschule haben die Kinder ein sehr feines Gespür für diese Themen“, findet Annette Baumeister, die im Stadtelternrat Leipzig die AG Freie Schulen leitet. „Sie regeln ihr Zusammenleben, vertiefen ihre Klassengemeinschaft und erwerben Kommunikations- und Sozialkompetenzen.“ Sie mischen gern mit. Grundlegende Möglichkeit dafür sind die Organe der Schülervertretung (siehe Infokasten). Ihre Arbeit ist an jeder sächsischen Schule zu unterstützen.
Ein hohes Maß an Eigenverantwortung wird mit den Freien Schulen assoziiert. Tatsächlich ist die aktive Mitarbeit über eine Schülervertretung hinaus für die meisten Freien Grundschulen Teil des Leitbilds. So lebt die Aktive Schule Leipzig das Konzept vom „lernenden Dreieck“, dessen drei Seiten von den PädagogInnen, SchülerInnen und Eltern getragen werden. Die Freie Schule Leipzig fasst auf ihrer Website zusammen: „Lernen ist dann lustvoll und effektiv, wenn es selbstgesteuert ist.“
An der Montessori Grundschule Leipzig heißt es: „Jeder Mensch ist Baumeister seiner selbst“. Schulleiterin Katleen Schkölziger findet das selbstverständlich. „Wir Pädagogen verstehen uns als Wegbegleiter und Lernpartner für die uns anvertrauten Schüler.“ Jene lernen in altersgemischten Gruppen und entscheiden mit, was sie wie lange bearbeiten wollen.
Wichtig sei die Erziehungsgemeinschaft aus Schule, Hort und Eltern, „die sich wertschätzend und offen begegnen und stets mit Blick auf das Kind agieren“. Persönliches Engagement der Eltern und Großeltern wird großgeschrieben. „Das heißt, dass Eltern aktiv ins Schulleben mit einbezogen werden. Es gibt Eltern oder Großeltern, die in der Unterrichtszeit als ‚Lese-Papa‘ oder ‚Mathe-Mutti‘ tätig sind oder auch mal mit einem Lehrer zusammen eine Unterrichtsstunde gestalten.“
Sind die Freien Schulen also grundsätzlich besser, was die Mitbestimmung angeht? „Das kommt darauf an“, so Annette Baumeister. „Alle Freien Schulen bemühen sich um engagierte Eltern- und Schülermitwirkung und wie so oft hängt das auch vom individuellen Engagement ab. Gute, gelingende Schule lebt in allen Schulformen von guten Beziehungen. Es ist gerade noch mal von der Kultusministerkonferenz festgestellt worden, dass der Erziehungsauftrag bei Eltern und bei der Schule gemeinsam liegt. Und in vielen Fällen klappt das auch gut.“