Protesttag „Bildungswende Jetzt!“ 15.06. ab 14 Uhr Marktplatz Leipzig – Telefoninterview mit Jochen Malmsheimer

Der KreisElternRat Leipzig (KER) ist auch in diesem Jahr Mitorganisator des Protesttages der Bildungswende Jetzt! in Leipzig.

Wir laden alle in Bildung engagierten und interessierten am Samstag 15.06. ab 14 Uhr auf dem Marktplatz in Leipzig zu einer Kundgebung ein! „Bildung Braucht Demokratie, Demokratie Braucht Bildung“ ist unser Motto.

Wir freuen uns ganz besonders in diesem Jahr einen prominenten Unterstützer gefunden zu haben, der in der Leipziger Kabarettszene seit Jahren eine feste Größe ist. Man kennt Ihn aus seinen legendären Auftritten in der Sendung „Neues aus der Anstalt“ im ZDF.

Jochen Malmsheimer

Das Wurstbrot Jochen Malmsheimer in „Neues aus der Anstalt“: https://www.youtube.com/watch?v=NOysa8XW1u4

Die Rede ist natürlich von Jochen Malmsheimer. Selbst Vater zweier Kinder hatte Jochen Malmsheimer Einblicke ins Bildungssystem und hat sich auch in dem ein oder anderen Bühnenprogramm für bessere und andere Bildung ausgespochen. Im Rahmen der Vorbereitung für den 15.06. hatte das Organisatorenteam das Vergnügen ein Interview zum Thema „Bildungswende in Deutschland und die Aufgabe von Bildung und Literatur für die gesellschaftliche Entwicklung“ führen zu können. Die Fragen stellte Tom Fürst, Delegierter der Bildungswende Jetzt! in Sachen und Lehrer an der Montessori-Schule Dresden.


Interview mit Jochen Malmsheimer:

Frage: Hallo Herr Malmsheimer, ist es eigentlich ok, wenn wir uns duzen?

JM: „Ja aber natürlich, das ist passender.“

Frage: Wir planen am 15.06.24 in Leipzig einen Protesttag und versuchen möglichst viel Gewicht für das Thema Bildung zu erzeugen. Am 01.09.24 finden in Sachsen Landtagswahlen statt und aktuell machen wir uns Sorgen, ob die künftige Regierung, aus wem auch immer sie bestehen mag, die Bedeutung der Bildung erkennt und in der Lage sein wird aktuelle Probleme zu lösen.

JM: „Nicht nur ihr in Sachsen. Das ist ein bundesweites Problem.“

Frage: Wie hast du deine eigene Schulzeit erlebt?

JM: „Das ist schon eine Weile her. Ich war an einem klassischen humanistischen Gymnasium und lernte Latein und Griechisch. Von Montessori kannte man da noch nix und ich war ein leicht abzulenkendes Kind. Heut hätte man mir vermutlich Ritalin verschrieben. Ich habe mir bei meinem Werdegang mehr Zeit gelassen, auch weil ich in dieselbe Klasse mit meiner Freundin wollte, die ich später auch heiratete. Und es war gut so, dass ich mir mehr Zeit ließ.“

Frage: Wie haben deine Lehrer auf dich reagiert?

JM: „Das habe ich damals gar nicht so mitbekommen. Erst Jahre später, als ich selbst in meine Schulakte schaute, bemerkte ich, wie sehr einzelne Lehrkräfte sich um mich bemühten. Hätte ich die nicht gehabt, wäre ich wohl durchs Raster gefallen. Besonders in straffen Umgebungen brauchen Kinder jemanden, der sich um sie kümmern kann. Eine gute Schule braucht ausreichend und gutes Personal, damit steht und fällt alles.“

Frage: Ich erlebe das gerade an der Montessori-Schule. Wir sind der Regel ein Erzieher und eine Lehrkraft und meist noch ein Schulbegleiter in einer Klasse von 20 bis 24 Kindern. An staatlichen Schulen sind 28 Kinder und eine Lehrkraft der Regelfall, die dann natürlich auch alles was die Kinder mitbringen auffangen muss.

JM: „Ja, dann wird es schwierig. Einen großen Teil der Ausbildungslast tragen ja die Eltern. Das ist dann gar nicht mal so sehr Schulstrukturell zu sehen. Ich habe mich oft gefragt, was machen Eltern, die nicht die Möglichkeiten von mir und meiner Frau haben? Die Arbeiten gehen müssen oder keine Zeit oder nicht die Fähigkeiten haben ihre Kinder dabei zu unterstützen. Das in Kombination mit Schulen, die sich nicht um die Kinder kümmern oder kümmern können…da fällt der Mensch vermutlich übern Rand und muss sich dann andere Wege suchen, um durchs Leben zu kommen. Sicher ist das nicht überall so, aber es trägt dazu bei.“

Frage: Kann ich dir nur zustimmen. Viele Kinder erleben ein solches Schicksal und können dann nicht so am Leben teilnehmen, wie man sich das vielleicht wünschen würde. Du bist auch Vater und deine Söhne inzwischen erwachsen. Doch wie hast du die Schule aus Sicht eines Vaters erlebt?

JM: „Meine Söhne sind ja beide kerngesund und haben sich an passender Stelle auch darüber beschwert, wenn etwas nicht gut lief. Insgesamt haben sie gute Erinnerungen an ihre Schulzeit. Viel davon hat aber auch meine Frau aufgefangen, da ich beruflich viel unterwegs war. Insofern konnten die beiden die Zeit schon gut überstehen, da meine Frau und ich in der Lage waren den beiden zu helfen und ihnen auch Hilfen zukommen lassen zu können.“

Frage: Wie siehst du das Thema aus Sicht eines Gesellschaftsmenschen. In einem deiner Programme, in dem es um die Neuaufnahme von „Chillen“ ins Deutsche geht, verpackst du eine Laudatio an die deutsche Sprache und gleichzeitig eine Metapher für Weltenoffenheit und Toleranz und unter welchen Bedingungen Teilhabe an der Gesellschaft möglich ist und unter welchen nicht und in „Dogensuppe“ sprichst du über die Bedeutung der Literatur für gesellschaftliche Entwicklung.

JM: „Ich bekomme die Bildungskrise natürlich mit. Als Vater noch intensiver, aber auch als Gesellschaftsmensch. Ich war schon immer der Meinung, dass Bildung die Grundlage für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und für Einsicht ist. Bildung formt den Menschen. Man löst Probleme nicht indem man beispielsweise sagt „Nazis sind dumm“. Das ist der verzweifelte Versuch sich in der undurchsichtigen Gemengenlage Klarheit zu verschaffen, was aber nicht funktionieren kann, da der Ausdruck zu grob und den einzelnen Menschen nicht gerecht wird.“

Frage: Ich komme aus einem Dorf in Sachsen und viele Äußerungen und Beleidigungen, die ich an der Uni aber auch in den Medien gesagt werden, treffen indirekt auf Menschen zu, die ich kenne und liebe, Freunde und Familie und mich selbst. Ich verstand schon als 15 Jähriger nicht was „der Nazi“ sein sollte, als ob es eine Schablone gäbe, die man einfach überstülpen könnte.

JM: „Genau, das ist ein Problem. Jeder Mensch hat seine Vergangenheit und Gründe für seine Ansichten. Jemanden, den von Anfang an Chancen verwehrt blieben, der hat auch keine große Hoffnung, dass eine Besserung eintreten kann.“

Frage: Bei uns war das ähnlich. Wenn der Bus nur 3mal am Tag fährt und Straßen und Häuser im eigenen Dorf langsam kaputt gehen, ist es schwer andere Perspektiven zu entwickeln. Dennoch leben dort gute und liebe Menschen und die pauschal zu verunglimpfen, liegt mir deshalb fern. Es wird den Menschen nicht gerecht und hilft auch in der Sache nicht weiter.

JM: „Ganz richtig, das bringt uns nicht weiter. Ich habe auch erst als Vater verstanden, wie wichtig das ist, als ich nämlich Verantwortung für einen anderen Menschen hatte. Plötzlich macht man sich Gedanken darüber an welche Schule das eigene Kind gehen soll. Als 10jähriger war mir das ja völlig Wurst auf welche Schule ich komme“

Frage: Ich habe dir noch eine Frage von Jan Zippel vom Kreiselternrat aus Leipzig mitgebracht: Wir sehen aktuell, dass Schule und Bildung immer mehr aus einer Zweck-Mittel Perspektive betrachtet wird. Wir diskutieren ernsthaft über die Notwendigkeit von Kunst, Musik und Sport. Das Einzige was wichtig scheint, ist der „Nutzen“ auf einem angeblichen Markt. Einerseits lehrt uns aber die Schnelllebigkeit unserer Zeit, dass wir mit den Konzepten von heute, morgen schon wieder heillos veraltet sein können, insofern fragt sich ob es wirklich schlau ist auf den aktuellen „Markt“ zu schauen und andererseits sollte Schule nicht auch ein Ort des Schweifens, Ausprobierens, der Kreativität und Muse sein? Lernen wir nicht im Ausprobieren und in der Vielfalt mehr fürs Leben als nur mit Scheuklappen durch die Schule zu gehen?

JM: „Absolut richtig!! Genau so und nicht anders! Natürlich ist das eine Horrorvorstellung Musik, Kunst und Sport aus dem Stundenplan zu streichen, um rein technischen Fächern den Vorzug zulassen. Ohne Zerstreuung, Kreativität und Spielen und Ausprobieren kann es keine gesunde geistige Entwicklung geben. Bleiben die musischen Fächer und die Entwicklung des Körpers auf der Strecke werden wir Menschen großziehen, die wunderbar eine Schraube in ein Loch drehen können, aber niemals in der Lage sein werden, sich ein Gewinde auszudenken.“

Frage: Das ist ein wunderbarer Punkt den du ansprichst und ein alter Diskussionspunkt zum Thema Lehrplan. An der Montessori-Schule bekomme ich inzwischen mit das es vor allem um Kompetenzvermittlung geht, also zu schauen, wo kann ich dem Menschen dabei helfen grundlegende Kulturtechniken zu erlernen. Es geht nicht darum, innerhalb kürzester Zeit möglichst genauen Stoff monologisch heruntergepredigt zu haben, sondern Anlässe zu schaffen, sich mit den eigenen Schwerpunkten und anderen Menschen auseinander setzen zu können. In klassischen Schulen hatte ich oft den Eindruck, dass das Klassenbuch eine Art Produktionsbericht ist. Die Ziele einen mündigen und vernunftbegabten Menschen zu erziehen, der am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und Einfluss nehmen kann, scheinen in Vergessenheit zu geraten und die Stoffvermittlung überwiegt. Was ebenfalls regelmäßig für Diskussionen sorgt.

JM: „Ein Freund von mir, Harald Lesch, einer der klügsten Menschen in unserem Land, wie ich finde, spricht sich vehement dagegen aus, die musischen Fächer aus dem Lehrplan zu streichen. Ohne Kreativität und Spiel kann es keine gesunde und kreative Entwicklung geben und damit wird der künftigen Generation die Fähigkeit genommen, kreative Lösungsansätze für immer komplexere Probleme zu finden. Schreib ihn ruhig mal an, der wird sicher auch gern was dazu sagen.“

Frage: Das mach ich. Am 15.06.24 ist der Bildungsprotest in Leipzig, doch am 01.09.24 finden Landtagswahlen in Sachsen statt. Deshalb schauen wir, dass wir hoffentlich noch im August ein oder zwei Aktionen zum Thema Bildung auf die Straße bringen und vor allem in die Köpfe und Herzen der möglichen Politiker.

JM: „Schreib ihn ruhig an. Das ist eine gute Sache und glaube mir, nicht nur Sachsen schaut auf den 01.09.24.“

Frage: Jochen, es ist nun eine halbe Stunde vorbei und ich danke dir vielmals für deine Zeit. Mir gibt das wieder Motivation und es freut mich, dass ich mit dir sprechen konnte.

JM: „Sehr gern und halt mich gern auf dem Laufenden.“

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Jochen Malmsheimer und freuen uns auf seine nächsten Auftritte im Leipziger Kabarett academixer!!


Seid dabei am 15.06. ab 14 Uhr auf dem Marktplatz Leipzig!

Mobilisierungsvideo der Bildungswende Jetzt!

https://www.youtube.com/watch?v=Z7l_SvHHfo0