Nancy Hochstein (34) leitet den Kreiselternrat Leipzig. Die Fitnessökonomin spricht im LVZ-Interview darüber, wie Eltern den Schulstart nach den Osterferien empfinden und was sich am Schulsystem dringend ändern muss.
In Sachsen beginnt am Montag wieder die Schule – mit verschärften Regeln und einer Testpflicht zweimal pro Woche. So gibt es ab Klasse 5 eine Maskenpflicht auch im Unterricht, der als Wechselmodell organisiert wird. Wie beurteilen Sie die Situation?
Wer negativ getestet ist, dann ist doch davon auszugehen, dass er oder sie nicht ansteckend sind. In diesem Fall sollten die Kinder im Klassenverband im Unterricht keine Maske tragen. Besonders wenn die Mindestabstände durch halbe Klassen in Oberschulen und Gymnasien sowie andere Hygienemaßnahmen eingehalten werden können. Natürlich: Die meisten haben sich an die Masken gewöhnt. Doch gibt es genug? Werden sie regelmäßig gewechselt? Viele Eltern empfinden die Maskenpflicht auch als teuer, wie ich auch aus vielen Reaktionen weiß. Und da rede ich nicht gar nicht über FFp2-Masken, die nicht länger als eine halbe Stunde getragen werden sollen. Der Unterricht geht aber 45 Minuten. Der Teufel steckt im Detail. Das wird auch bei den Tests nächste Woche der Fall sein.
Was meinen Sie damit?
Eltern fragen sich, warum sie so stigmatisiert werden, dass sie Ihre Kinder nicht zu Hause testen können. Die Tests könnten ausgegeben werden. Kinder, die krank sind, kommen doch gar nicht erst in die Schule. Soviel Vertrauen sollte man zu den Eltern haben.
Schicken Sie ihre eigenen Kinder mit gutem Gewissen in die Schule?
Ja. An unserer Grundschule ist alles bestens vorbereitet. Wir haben zu Hause auch testen geübt. Doch die Meinungen der Eltern gehen da weit auseinander. Einige sprechen von Psychoterror für ihre Kinder. Auf der anderen Seite: Den Säuglingen nehmen wir nach der Geburt auch Blut aus der Ferse. Vielen ist die Fähigkeit, abzuwägen, was notwendig und der Situation angemessen ist, abhanden gekommen. Das Testen zu Hause unter Aufsicht ist doch sinnvoller als im Klassenverband. Es gibt Videos und Erklärungen dazu. Und es funktioniert besser, als wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer die gesamte Klasse beaufsichtigen muss. Einige Eltern aus Grundschulen sind am Freitag mit diesem Vorschlag ans Ministerium herangetreten. Wie immer gab es die Informationen, wie alles umgesetzt wird, sehr kurzfristig. Deshalb konnten wir erst jetzt reagieren. Wichtig ist natürlich auch, dass alle Lehrer rasch flächendeckend geimpft werden.
Gibt es viele Eltern, die ihre Kinder lieber zu Hause lassen?
Das wird sich nächste Woche zeigen. Da will ich gar nicht orakeln. Ich erlebe aber eine große Polarisierung bei Eltern, was Tests, Maskenpflicht oder Vorteile für Geimpfte betrifft. Als Ehrenamtler können wir es da nicht jedem Recht machen. Bei vielen liegen einfach die Nerven blank. Und ich bin schon öfter am Telefon angeschrien oder gar bedroht worden. Etwa, wenn Eltern wollen, dass Schulen ganz geschlossen bleiben und wir dafür eintreten sollen. Die Mehrheit sieht das aber anders.
Das Abitur findet statt. Ist die derzeitige Abschlussklasse dabei benachteiligt?
Das liegt wohl an den Schülern selbst, wie sie die Situation gemeistert haben. Natürlich hatten sie weniger Unterricht. Wir dürfen aber nicht nur über Abiturienten sprechen. Die Abschlussklassen der Oberschulen sind auch in dieser Situation. Sie starten in ihre Lehrberufe, die Ausbildungsbetriebe brauchen dringend Azubis. Darauf sollten wir ebenso unser Augenmerk richten.
Nun wird gar diskutiert, das Schuljahr zu wiederholen. Wäre das eine Option?
Das ist schwierig und wird auch bei Eltern kontrovers gesehen. Flächendeckend sehe ich diesen Wunsch aber nicht. Eine komplette Wiederholung gibt das Schulsystem in einer Stadt wie Leipzig ohnehin nicht her, wenn ich an Lehrermangel und fehlende Unterrichtsräume denke. Die Probleme, die wir vor Corona hatten, sind ja nicht plötzlich weg. Eltern möchten aber, dass der Unterrichtsausfall kompensiert wird, damit ihre Kinder keine Nachteile haben. Da muss sich das Kultusministerium Gedanken machen. Da habe ich schon vor einem Jahr einen Plan B eingefordert. Doch davon ist nichts zu spüren. Es wäre schön, wenn es erkennbare Linie gibt.
Corona hat die Schwachstellen des Bildungssystems offengelegt. Wie können die repariert werden?
Das ist ein weites Feld. Über die Mängel bei der Digitalisierung wurde schon viel geredet. Es fällt viel Unterricht aus. Lehrer fehlen nach wie vor. Das fällt in der derzeitigen Situation nur nicht mehr so auf. Was mich besonders schmerzt, ist auch, dass Kinder seit einem Jahr keinen geregelten Sportunterricht haben und ihnen damit die Bewegung fehlt. Der Vereinssport kann auch nicht stattfinden. Da bekommen wir Spätfolgen von Corona, die uns noch schwer zu schaffen machen werden. Ich wünsche mir, dass das Thema Gesundheit, Ernährung und Bewegung in den Schulen nach der Krise ein viel größeren Stellenwert bekommt.
Zur Person:
Nancy Hochstein (34) ist gebürtige Zwickauerin. Sie leitet den Kreiselternrat Leipzig seit November 2019, Die Fitnessökonomin, die im Gohliser Aktiv-Forum arbeitet und auch seit 20 Jahren Kindertanz unterrichtet, hat zwei eigene Kinder und einen Stiefsohn. Ehrenamt ist für sie eine große Säule der Gesellschaft. Politisch engagiert sie sich bei den Linken.