Offener Brief an die Staatsministerin für Kultus, Brunhild Kurth

Offener Brief an die Staatsministerin für Kultus, Brunhild Kurth

Die Entwicklungen im Bereich der Gewinnung von Lehrkräften in Sachsen und insbesondere die jüngsten Auswüchse von Werbemaßnahmen um Lehrkräfte zeichnen ein Bild der Hoffnungslosigkeit. Die bislang vom Ministerium unternommenen Maßnahmen bekämpfen wenn überhaupt die Symptome, nicht die Ursachen für fehlende Lehrkräfte.

Wir möchten Sie daher auf diesem Weg auf Möglichkeiten aufmerksam machen, wie man Ursachen verändert, damit mehr Lehrkräfte in Sachsen arbeiten möchten.

Organisation der Bildungsagentur

Veränderung des Selbstverständnisses der Bildungsagentur: Bis dato agiert die Bildungsagentur im Stil einer Behörde, die stark nachgefragte Plätze zu verteilen hat. Dies ist aber nun leider nicht der Fall. Die Bildungsagentur muss ihre Position ändern. Nicht mehr die BewerberInnen sind in der Bittstellerposition um eine Stelle, sondern die Bildungsagentur ist in der Position, um Arbeitskräfte zu gewinnen. Das muss sich im Stil der Bildungsagentur widerspiegeln.

Transparentes und öffentliches Anbieten der zur Verfügung stehenden Stellen, Möglichkeit für BewerberInnen sich im Vorfeld mit den jeweiligen Schulstandorten auseinanderzusetzen transparente Entscheidungskriterien: welche Faktoren führen dazu, dass BewerberInnen bestimmte Stellen angeboten werden Mitspracherecht von Schulen: viele zukünftige Arbeitsverhältnisse entstehen (in anderen Bundesländern) durch den Kontakt in vorhergehenden Praktika – Schulen müssen bei der Einstellung mitreden dürfen – es muss transparent sein, mit welchem Faktor die Schulmeinung in die Einstellung eingeht Veränderung des Onlineauftritts: Informationen zu Bewerbungsmöglichkeiten und z.B. einzureichender Formalia müssen übersichtlich präsentiert werden. Momentan wird BewerberInnen eine Datei im .doc Format angeboten (allein das Format wirkt auf BewerberInnen steinzeitlich und schreckt ab), welche zahlreiche Doppelungen bezüglich einzureichender Unterlagen enthält. Positive Beispiele anderer Bundesländer wie z.B. Sachsen-Anhalt bieten hier Orientierungshilfe.

Veränderung des Tonfalls im Onlineauftritt: Vergleichen Sie bspw. die Websites von Berlin und Sachsen bezüglich: Anrede, Verständlichkeit, Aufforderungscharakter oder Übersichtlichkeit. Für potenzielle BewerberInnen macht es einen großen Unterschied ob in jedem dritten Satz von Ausschlussfristen gesprochen wird oder ob zunächst klargestellt wird, dass man sich jederzeit bewerben könne, da jede zukünftige Lehrkraft willkommen ist
die Einstellungsverfahren müssen an Schnelligkeit zunehmen. Eine Zusage zu einer festen Arbeitsstelle wenige Tage vor der Einstellung wird kaum jemand annehmen, sondern er/sie hat sich für das Bundesland entschieden, welches eher und mit ausreichend Zeit, um einen Umzug zu organisieren, angeboten hat Veränderung und Flexibilität mit BewerberInnen: es bleibt völlig offen zu welchem Zweck überhaupt Bewerbungsfristen existieren – andere Bundesländer haben dies schon lange abgeschafft. Am Beispiel: In Sachsen liegen zwischen Bewerbungsende und Einstellungstermin fünf Monate – in Berlin hingegen nur zwei Monate – in diesem Zeitraum gehen Bewerberinnen verloren
wer ernsthaft an neuen Lehrkräften interessiert ist, muss die Servicequalität erhöhen. In anderen Bundesländern wird mit Wohnungsgenossenschaften kooperiert um zügig Wohnraum zur Verfügung zu stellen, mit Trägern von Kindertagesstätten werden Kontingente für freie Plätze verhandelt, in ländlichen Regionen wird mit den Verkehrsverbünden über Vergünstigungen im ÖPNV verhandelt – wer ernsthaft an den raren Lehramtsstudierenden interessiert ist, muss auch soziale und infrastrukturelle Anreize schaffen
wenn es besonderes Interesse an den eigens in Sachsen studierten, zukünftigen Lehrkräften gibt, sollte man diesen nicht zusätzliche Erschwernisse bereiten. Je länger die Zeit zwischen Ende des Studiums und der Möglichkeit das Referendariat beginnen zu können, umso eher wählt man genau dieses Bundesland eben nicht. Wer z.B. in Leipzig sein Zeugnis am 30.09.17 bekommt, kann erst am 01.02.18 das Referendariat beginnen. Dazwischen liegen vier Monate in denen die zukünftigen Lehrkräfte krampfhaft nach Bundesländern suchen deren Einstellung in diesem Zeitraum liegt.

Organisation der Universitätsausbildung

Veränderung der Selbstverständnisses des Lehramtsstudiums
wer ernsthaft an Lehrkräften interessiert ist, darf sich nicht vom kurzfristigen Erfolg der Einstellungen von Quer- und SeiteneinsteigerInnen beeinflussen lassen. die unterschiedlich lange Studienzeit (3 Monate vs. 5 Jahre) beschreibt die Wichtigkeit eines qualitativ hochwertigen Studiums, die die Ministerin diesem Beruf zuspricht. Wer der Überzeugung ist, dass man Inhalte von 5 Jahren in 3 Monaten unterbringen kann – der schreckt potenzielle Lehrkräfte ab, zum Einen weil die jungen Lehrkräfte ein Ideal davon haben, wie ihre Qualität wertgeschätzt werden sollte, und zum Anderen weil sie zukünftig nicht die Arbeit der Quereinsteiger ausbaden wollen.

Wer das Studium von Lehrkräften ernst nimmt, kommt nicht im entferntesten auf die Idee nun auch Studierende mit Bachelor (von FHs und Universitäten) als Lehrkräfte einzustellen – jeder mit einem abgeschlossenen Lehramtsstudium muss sich fragen, warum man dieses Studium völlig umsonst gemacht hat – in einem Bundesland, dass diese Frage nicht beantworten kann, wird man nicht anfangen wollen zu arbeiten.

Die Organisation der universitären Praktika in den Schulen muss an die enorm hohe Anzahl von PraktikantInnen angepasst werden: wer zukünftig Lehrkräfte haben möchte, muss auch ausreichend Praktikumsplätze vorhalten, es setzt sich sonst der Effekt fort, dass Studierende die in anderen Bundesländern Praktika absolviert haben aufgrund der dortigen positiven Erfahren später auch dorthin gehen (vgl. Mitspracherecht von Schulen, Ausstattung, Bezahlung, etc.)
Änderung des Kommunikationsstils seitens der Bildungsagentur: Wenn Studierende sich momentan für die erste Staatsprüfung anmelden, erscheint sinngemäß die Meldung: Sie haben noch nicht alle Unterlagen eingereicht – wollen sie wirklich noch die Prüfung absolvieren? Dort müsste aber stehen: Herzlich Willkommen im Prüfungsportal. Unter Punkt XY können Sie einsehen, welche Unterlagen noch fehlen. Viel Erfolg bei den Prüfungen.

Die Dauer des Grund- und Oberschulstudiums muss an die restlichen Lehrämter angepasst werden um perspektivisch eine gleiche Bezahlung zu ermöglichen, wer nicht gleich bezahlt wird, kommt auch nicht nach Sachsen
Inklusion muss sich auch im Studium widerspiegeln – wenn Sachsen schon im Studium zeigt, dass Inklusion nur ein Thema für FörderpädagogInnen ist, wird man sich sehr genau überlegen, ob man an eine Regelschule in Sachsen gehen möchte um dort mit Situationen umgehen zu müssen, die man nie theoretisch betrachtet hat

Wer sich als fortschrittliches Bundesland präsentieren will, um damit um zukünftige Lehrkräfte zu werben, muss dies auch schon im Studium tun – Sachsen ist eines der letzten Bundesländer, welches aus unerklärlichen Gründen an doppelten Prüfungen festhält. Studierenden und Dozierenden an den Hochschulen bleibt völlig schleierhaft warum die gleichen Inhalte bei den gleichen Dozierenden einmal während des Studiums in Modulprüfungen und einmal am Ende des Studiums in Staatsexamensprüfungen abgefragt werden – die damit gebundenen Mittel für PrüferInnen an Hochschulen und Schulen könnte man sinnvoller nutzen

Schulorganisation

Im Schulgesetz muss sich die Regierung für einen klaren Weg der Inklusion entscheiden. Momentan geht Sachsen den Weg der Integration für einen Bruchteil von SchülerInnen, diese Ungenauigkeit des Weges schreckt eine Vielzahl von BewerberInnen ab, weil Sie nicht wissen, ob sie später an Förderschulen eingesetzt werden, was viele mittlerweile ablehnen oder weil sie an Regelschulen eingesetzt werden, die keine FörderschulpädagogInnen an der Schule haben

Im Schulgesetz muss sich die Regierung für eine massive Reduzierung der Klassengrößen einsetzen, viele Methoden und didaktische Überlegungen geschweige denn ein sinnvolles Klassenmanagement sind mit über 15 Kindern pro Klasse nicht umsetzbar und wirken für angehende Lehrkräfte nicht attraktiv

Das Ministerium muss die eigene, lediglich additive Denkweise überwinden. Es fehlen nicht mehr Lehrkräfte, weil die Stundenzahl von Lehrkräften reduziert wurde, sondern es fehlen neue Lehrkräfte weil die Stundenzahl nicht ausreichend reduziert wurde. Wer neue Lehrkräfte anwerben möchte, muss herausfinden in welchem Bundesland die niedrigste Stundenzahl eingefordert wird und muss dann die Stundenzahl in Sachsen darunter festlegen.

Das Ministerium muss sich endlich auf den Weg machen und ein Konzept des gemeinsamen Lernens vorlegen. Wenn es Alternativen gibt, werden sich neue Lehrkräfte für Konzepte entscheiden die ein möglichst langes gemeinsames Lernen ermöglichen. Die Selektion nach der vierten Klasse ist ein deutliches Kriterium, nicht in Sachsen arbeiten zu möchten

Das Ministerium muss endlich ein Konzept einer vernünftigen Ganztagsschule vorlegen, dass die Schulen nicht zu kurzfristigen Finanzierungen von zusätzlichen Angeboten von Schuljahr zu Schuljahr zwingt. Schulen muss ein festes Budget für zusätzliche Lehrkräfte, PädagogInnen und sonstiges Personal für sinnvolle Angebote neben dem Unterricht zur Verfügung stehen. Eine Person, die einen Schulchor leitet, muss fest und über viele Jahre für diese Tätigkeit bezahlt werden.

Ausstattung

Die Regierung muss die Kommunen massiv bezüglich der Ausstattung von Schulen unterstützen:

Lehrkräfte aus anderen Bundesländern sind zumeist geschockt über die hygienischen Bedingungen an sächsischen Schulen, wer sich tagsüber nicht traut auf Toilette zu gehen, wird sich bezüglich des Arbeitsplatzes nicht für Sachsen entscheiden

Wer in anderen Bundesländern in Gebäuden lehren und arbeiten kann, die über Doppelglasfenster verfügen und lackiert sind, der wird sich nicht für Sachsen entscheiden

Wer in anderen Bundesländern an Schulen unterrichten kann, die über Internetzugang für alle SchülerInnen und somit zahlreiche Möglichkeiten der Digitalisierung des Klassenraums verfügen, der wird sich nicht für Sachsen entscheiden wer in anderen Bundesländern bereits über digitale Klassenbücher und Vertretungspläne per App verfügt, der wird sich nicht für Sachsen entscheiden während woanders den Schulen Mittel für eigene Homepages und Serverdienste zur Verfügung stehen erreicht man sächsische Schulen noch über private E-Mailadressen die Regierung muss Schulen mit ausreichend Personal ausstatten um die Schulen für neue Lehrkräfte attraktiv zu machen. Eine Schule muss mindestens mit je 1,0 VZÄ an Sekretariat, technische MitarbeiterIn, SozialpädagogIn und FörderschulpädagogIn ausgestattet sein, zusätzlich sind an jeder Schule mind. je 0,5 VZÄ an NetzwerkadministratorIn und SchulpsychologIn vorzuhalten

Wer ernsthaft an zukünftigen Lehrkräften interessiert ist muss auch finanziell einen Anreiz bieten. Man prüfe welches Bundesland das höchste Gehalt zur Verfügung stellt. Wenn man Lehrkräfte haben möchte, muss man dies überbieten zukünftige Lehrkräfte gewinnt man über faire und gerechte Angebote, wer der Überzeugung ist, dass z.B. Grundschullehrkräfte und Lehrkräfte an Oberschulen weniger leisten und ihnen deshalb weniger zahlt als allen anderen Lehrkräften, der wird genau diese Lehrkräfte nicht gewinnen, weil sie dorthin gehen wo alle Lehrkräfte annähernd gleiches Gehalt bekommen
und ja, wer besonders viele Lehrkräfte benötigt muss natürlich auch über eine Verbeamtung von Lehrkräften nachdenken, um im Vergleich zu anderen Bundesländern mithalten zu können, wenn dies ob der Aufgaben von Lehrkräften im Vergleich zu anderen hoheitlichen Aufgaben doch mindestens fragwürdig erscheint

gez.

Jakob Heuschmidt

Hans Christian Karger