Der Bildungsplan als pdf: #
17_11_13_bildungsplan_leitfaden
Einleitung: #
»Bildung ist ein Prozess, der mit der Geburt beginnt, grundsätzlich indivi duell und lebenslang verläuft.« (Sächsisches Staatsministerium für Soziales/Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2003, S. 2) Das Herausstellen des Prozesscharakters von Bildung hat auch im frühkindlichen Bereich zu Diskussionen über den Bildungsauftrag und über die zukünftigen Bildungsaufgaben geführt. Menschen werden mit der Geburt zu »Einwanderern in ein unbekanntes Land«, dessen Erkundung und Aneignung den Kern des Bildungsprozesses ausmacht. Die Reise in dieses neue Land ist
eine Herausforderung, die Mut erfordert und zugleich Möglichkeiten bietet, täglich neue Entdeckungen zu machen. Hindert uns die Angst vor Missgeschicken und Fehlern daran, Neuland zu betreten, dann bleiben wir ohne Erkenntnisgewinn. Fehler, Irrtümer und Irritationen können als Motivation und Ansporn für das Weiterlernen, für die Suche nach neuen und
geeigneteren Wegen dienen. Sucht man nach Möglichkeiten zur Unterstützung kindlicher Bildungsprozesse, dann ergibt sich zunächst die Frage, wie sich Kinder auf die sie umgebende Welt einstellen und welche Strategien sie entwickeln, um dieses Neuland zu erobern – auf ihre individuelle Art und Weise. Dazu benötigen sie Mütter, Väter, Erzieherinnen und Erzieher, Tagesmütter und
Tagesväter bzw. Menschen aus ihrer Umgebung, die ihnen als Begleiterinnen und Begleiter bei dieser »Eroberung« zur Seite stehen. Erzieherinnen, Erzieher, Tagesmütter und Tagesväter haben die Aufgabe, mit Hilfe ihrer pädagogischen Arbeit einen Ausschnitt des ›Neulands‹ auf eine bildungs- und entwicklungsförderliche Weise zu gestalten, was neben Betreuung Einleitung
und Erziehung gezielte Aktivitäten zur Anregung von Bildungsprozessen einschließt. Deren Gestaltung erfordert einen Rückbezug auf die bereits erworbenen, eigenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen, aber auch eine Auseinandersetzung mit den veränderten Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und eine genaue Beobachtung der Wege, die jedes Kind von sich aus einschlägt. Zugleich ist eine fachliche Unterstützung erforderlich, die Impulse für die Reflexion und Neugestaltung der pädagogischen Arbeit gibt. Der vorliegende Bildungsplan soll hierzu Anregungen geben
und eine Orientierungshilfe bieten. Bei der Organisation der täglichen Bildungsarbeit stehen pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege vor ähnlichen Lern- und Bildungsprozessen wie die sich bildenden Kinder. Sie müssen ausprobieren und experimentieren, was Irrtümer und Fehler unvermeidlich macht. »Fehler sind ein Mittel, um den richtigen Weg durch ein System, eine Struktur, ein Netz zu finden. Wir können nicht lernen, wenn wir keine Fehler machen dürfen.« (Spiegel/Selter 2003, S. 36).
Lernen so gefasst bedeutet, dass die Verantwortung für das Lernen dem Lernenden – unabhängig davon, ob es sich um Kinder oder Erwachsene handelt – zurück übertragen wird. Es geht um eine Lernkultur, die den gegenseitigen Austausch von Erkenntnissen, Erfahrungen und Meinungen ermöglicht. Ganz gleich ob zwischen pädagogischen Fachkräften, Eltern oder Kindern: Bildung vollzieht sich im Dialog und in der Eigenverantwortung der Sich-Bildenden. Die Arbeit der Eltern und der pädagogischen Fachkräfte besteht in einer qualifizierten Anregung, Begleitung, Unterstützung und Absicherung der kindlichen Bildungsbestrebungen, wofür im Allta Ideen und Material sowie zeitliche und räumliche Ressourcen gefragt sind. Im Bundesmodellprojekt »Zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen« wurde von der selbsttätigen Weltaneignung und Kompetenzentwicklung des Kindes ausgehend, Bildung in einem »doppelten Sinn« als
Selbstbildung definiert: »Bildung durch Selbsttätigkeit und Bildung des Selbst als dem Kern der Persönlichkeit. Bildung – so verstanden – wäre also der Anteil des Kindes an seiner eigenen Entwicklung.« (Laewen/Andres 2002a, S. 61). Kinderkrippen, Kindergärten, Horte und Kindertagespflegestellen sind demnach eigene Bildungsräume, die darüber hinaus gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag eine Betreuungs- und Erziehungsfunktion wahrzunehmen haben. In § 2 Abs. 2 des Sächsischen Gesetzes zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen (SächsKitaG) steht deshalb:
»Der ganzheitliche Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag dient vor allem
1. dem Erwerb und der Förderung sozialer Kompetenzen wie der Selbständigkeit, der Verantwortungsbereitschaft und der Gemeinschaftsfähigkeit, der Toleranz und Akzeptanz gegenüber anderen Menschen, Kulturen und Lebensweisen sowie gegenüber behinderten Menschen und
2. der Ausbildung von geistigen und körperlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, insbesondere zum Erwerb von Wissen und Können, einschließlich der Gestaltung von Lernprozessen.«
Der Sächsische Bildungsplan knüpft an aktuelle Forschungsergebnisse und gesetzliche Rahmenbedingungen in Sachsen an und hat in der nunmehr dreijährigen Erarbeitungsphase die verschiedensten Institutionen und Berufsgruppen zusammengeführt. Sächsische Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen sollen allen Kindern – unabhängig von Geschlecht; Alter; sozialer, religiöser, ethnischer und kultureller Herkunft; physischen und psychischen Besonderheiten; Sozialisations- und biographischen Erfahrungen – soziale Übergänge eröffnen und Unterstützungsformen bieten, die ihnen einen Einstieg in das gesellschaftliche Leben mit seinen Herausforderungen und eine Ergänzung zu ihrer privaten Lebensumgebung ermöglichen. Erzieherinnen, Erzieher, Tagesmütter und -väter erfüllen in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion, indem sie dieses Bildungsverständnis in ihren beruflichen Alltag integrieren und Kin-
dern durch geeignete Anregungen und Räume, Materialien sowie Gelegenheiten zum selbsttätigen Tun, Bildungsprozesse ermöglichen. Im Übergang von der Kindertagespflege in die Kindertageseinrichtung sowie von der Kindertageseinrichtung in die Schule wird diese Bildungsperspektive fortgesetzt und als gemeinsame Aufgabe von Schule und Kindertageseinrichtung in das curriculare Lernen integriert.