Wer kennt ihn nicht, den Alltag im sprichwörtlichen Hamsterrad und den Wunsch, es einfach für einen Moment anhalten zu können. Bewusster zu leben! Das kann man lernen, bereits in der Schule. An der Universität Leipzig gibt es ein Projekt, das Lehrern, Schülern, Studierenden und Dozenten die Möglichkeit gibt, ihr Leben zu entschleunigen. Achtsamkeitstrainerin und Projektleiterin Susanne Krämer greift sogar ein Stück weiter: Sie möchte Bildung anders denken, um unsere Gesellschaft zu verändern.
„Wenn ich mir unsere Gesellschaft anschaue, wenn ich mir die Krisen anschaue, mit denen wir konfrontiert sind, dann sehe ich, dass wir bestimmte Kompetenzen brauchen, um mit den eigenen Ressourcen aber auch den Ressourcen unserer Mit- und Umwelt stimmig umzugehen.„
So definiert Susanne Krämer den Ausgangspunkt für ihre Arbeit. Und die hat ein klares Ziel:
„Die Kompetenz, schwierigen Emotionen zu begegnen, die Konflikte auslösen, in Kontakt miteinander zu bleiben, eigene Vorurteile und Automatismen wahrzunehmen und zu reflektieren. In dieser Hinsicht einen anderen, selbstbestimmten Umgang zu finden und sich aus einem systemischen Verständnis heraus für eine nachhaltige Zukunft einzusetzen. Diese Fähigkeiten möchte ich gern schon den Kindern mitgeben.„
Der Schlüssel dazu sind für Kommunikationsexpertin Krämer die Lehrer als Vorbild. Deshalb richtet sie sich gemeinsam mit ihren Kollegen im Rahmen des Projekts „Achtsamkeit in der Bildungs- und Hoch-/Schulkultur“ sowohl an Lehramtsstudierende, als auch an Lehrkräfte, die bereits an Schulen unterrichten.
Der Wunsch nach Entschleunigung ist groß #
In der Praxis treffen Susanne Krämer und ihr Team auf große Offenheit. Das Bedürfnis der Lehrer, sich in ihrem Alltag zu fokussieren und selbstwirksam mit Emotionen umzugehen, sei hoch und durch die Corona-Pandemie noch einmal verstärkt worden, so die Achtsamkeitstrainerin. Der Gedanke, sich mit einem Weiterbildungsangebot noch mehr aufzubürden, relativiere sich schnell, sobald die Teilnehmer erste persönliche Erfahrungen gemacht hätten.
An einigen Schulen ist das bereits Realität.
Am Freien Gymnasium Borsdorf gibt es achtsame Pausenangebote,
die Grundschule am Grünen Gleis hat das Profil Achtsame Schule und
das Leipziger Gymnasium „Schule am Palmengarten“ hat das Achtsamkeitstraining bereits 2018 als Unterrichtsfach in den Stundenplan aufgenommen.
Die Jungen und Mädchen können dadurch lernen, ihre Emotionen besser zu regulieren, sich stärker zu konzentrieren und auch mit Schulstress und Druck besser umzugehen. All das stärkt ihr Selbstvertrauen und ihre Zufriedenheit. Aber wie geht das praktisch?
Das Gedankenkarussell „einfach“ anhalten #
Nicht jeder findet sofort Zugang zur Achtsamkeit. Unsere über Jahrhunderte manifestierten Verhaltensmuster, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu erreichen, ganz gleich ob es uns, anderen oder unserer Umwelt guttut, lässt sich nicht von heute auf morgen auflösen. Der Wunsch dazu sei sicher die wichtigste Voraussetzung, so Susanne Krämer. Ist dieser vorhanden, kann ein breites Spektrum an Übungen helfen, den Weg zur Konzentration auf den Augenblick zu finden – und nichts anderes ist Achtsamkeit. Bewegungsformen wie Yoga oder Qigong lenken den Focus auf den eigenen Körper, aber auch auf die Gedanken. Damit helfen sie, Unterbewusstes bewusst zu machen und schließlich darauf einwirken zu können. Eine andere Möglichkeit ist zum Beispiel die Sitzmeditation mit gezielten Atemübungen, über die wir zur Ruhe finden, das Gedankenkarussell anhalten und uns ganz dem zuwenden können, was wir gerade tun. Das sind die sogenannten formellen Übungen.
Achtsamkeit im Alltag, auch für Schüler #
„Bewusst den Kaffee zu genießen oder die Sonne, die einem gerade ins Gesicht scheint. Sich ganz dem Gespräch mit dem Gegenüber zuzuwenden oder einen Weg entschleunigt zugehen, auch das sind Achtsamkeitsübungen. Man nennt sie informelle Übungen, die sich in den Alltag einbauen lassen„,
so Susanne Krämer. Es gehe um die Wahrnehmung des Augenblicks, denn jeder Moment habe Elemente, über die wir uns freuen können, die aber vielleicht auch schwierig sind. Beides für sich anzunehmen, darum ginge es. Schon Kinder könnten all das lernen, je nach Entwicklungsstand und Situation in der Klasse gäbe es ein breites Spektrum an Möglichkeiten, sich dem Thema zu nähern: Spielerisch, über Musik oder Bewegung, jeder Lehrer bekäme im Laufe der Zeit ein Gespür, wofür sich seine Schüler am ehesten öffnen, welche Themen sie bewegen, womit sie sich identifizieren. Selbst wenn die Jungen und Mädchen es zunächst „albern“ finden, wie sich eine Studentin von Susanne Krämer erinnert, kommen sie doch später oft auf das zurück, was sie damals gelernt haben.
Erste deutschlandweite Konferenz in Leipzig #
Diese Erfahrung machte ein Schüler der 9. Klasse, der Teilnehmer einer Achtsamkeits-AG war. „Wer das für das eigene Leben mitnimmt, gibt es auch gern weiter. Und das spüren die anderen.“ Das ist für Susanne Krämer das Basismodell dafür, Achtsamkeit an Schulen zu etablieren: Zuerst für sich selbst zu sorgen, sich selbst weiterzuentwickeln, die Konzentration auf den Augenblick für sich zu etablieren und dann diese Erfahrung weiterzugeben. Das Projekt „Achsamkeit in der Bildungs- und Hoch-/schulkultur“ bietet dafür den professionellen Rahmen. Während einer Informationsveranstaltung oder an einem pädagogischen Tag können interessierte Lehrer mit der Achtsamkeit auf Tuchfühlung gehen und anschließend an einem Kurs teilnehmen, das sich über 12 Wochen erstreckt und von der AOK Plus finanziert wird. Darüber hinaus wird die Universität Leipzig am 21. und 22. September 2023 Gastgeber der ersten deutschlandweiten Konferenz zum Thema „Achtsamkeit in der Bildung“ sein.
Quelle:
https://www.mdr.de/wissen/achtsamkeit-lernen-meditation-in-der-schule-projekt-in-sachsen100.html