Nach dem zweiten Weltkrieg sahen die Alliierten im gegliederten Schulsystem ein Hindernis für die Demokratisierung des Landes. Mit ihren Reformplänen konnten sie sich in Westdeutschland aber nicht durchsetzen. #
Quelle: https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/319069/kampf-um-die-schulstruktur/
Bildung und Demokratie sind aufs Engste miteinander verschränkt – diese Überzeugung hegten auch die Besatzungsmächte, als sie ihr Demokratisierungsprogramm für das besiegte Deutschland entwarfen. Schon in den Grundsätzen für die Besetzung, Verwaltung und Kontrolle des Landes, auf die sich die Alliierten im Potsdamer Abkommen von 1945 verständigten, richtete sich der Blick auf das Bildungssystem. Dieses müsse „so überwacht werden, dass die nazistischen und militaristischen Lehren völlig entfernt werden und eine erfolgreiche Entwicklung der demokratischen Ideen möglich gemacht wird“.
Im Schulwesen fand diese Maxime zunächst und offensichtlich Ausdruck in einer Revision der Lehrpläne und Schulbücher sowie der Entlassung von nationalsozialistisch belasteten Verwaltungsbeamten und Lehrpersonen. Diese unmittelbaren und weitgehend unstrittigen Entnazifizierungsmaßnahmen bildeten aber nur den Auftakt einer sehr viel weiter reichenden Schulreformagenda, die nicht zuletzt das Ziel hatte, die Struktur des deutschen Schulwesens umzugestalten. Insbesondere die sowjetische und die US-amerikanische Militärregierung drängte in den Nachkriegsjahren darauf, die frühe Trennung der Schülerschaft und deren Verteilung auf unterschiedliche Schulformen zu beenden und entfalteten Aktivitäten, um entsprechenden Reformmaßnahmen in ihrem jeweiligen Einflussbereich zum Durchbruch zu verhelfen.
Acht Jahre Grundschule #
Die Interner Link: sowjetische Seite begann frühzeitig und sehr entschieden mit den Reformen. Bereits 1945 richtete sie eine „Zentralverwaltung für Volksbildung“ ein und beauftragte diese, eine Neuordnung des Schulwesens zu entwerfen. Mit dem „Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule“ wurde in der sowjetischen Besatzungszone dann bereits 1946 eine weitreichende Schulstrukturreform auf den Weg gebracht. Sie dehnte die bisher vierjährige Grundschule auf acht Schuljahre aus und ersetzte das traditionelle neunjährige Gymnasium durch eine vierjährige Oberstufe. Diese Interner Link: neue Struktur legte den Grundstein für den in den Folgejahrzehnten weiter forcierten Umbau des gegliederten Schulsystems zum Einheitsschulsystem sozialistischer Prägung.
Dabei war die eingeleitete Reform nicht einfach ein Oktroi der sowjetischen Besatzungsmacht. Sie entsprach vielmehr weitgehend der Position, zu der sich SPD und KPD im Oktober 1945 in einem „Gemeinsamen Aufruf zur Demokratisierung der deutschen Schule“ bekannt hatten und wurde von Schulreformern deutscher Provenienz maßgeblich mitverantwortet und unterstützt.
Auch die Amerikaner sahen in den tradierten Strukturen des deutschen Schulwesens ein ernst zu nehmendes Hindernis für die Demokratisierung des Landes. Dabei gingen sie so weit, dem deutschen Schulsystem eine Mitverantwortung für das Aufkommen des Nationalsozialismus zuzuschreiben. Zu diesem Schluss gelangte jedenfalls eine Expertenkommission, die von US-Präsident Harry S. Truman eingesetzt worden war, um das deutsche Bildungssystem zu untersuchen und Empfehlungen zu seiner Demokratisierung vorzulegen. In ihrem 1946 an den Generalleutnant und stellvertretenden Militärgouverneur Lucius D. Clay übergebenen Bericht, der die Reformagenda der US-Militärverwaltung maßgeblich vorkonturierte, urteilte die nach ihrem Vorsitzenden – dem Präsidenten des American Council on Education George F. Zook – benannte Kommission: „Dieses System hat bei einer kleinen Gruppe eine überlegene Haltung und bei der Mehrzahl der Deutschen ein Minderwertigkeitsgefühl entwickelt, das jene Unterwürfigkeit und jenen Mangel an Selbstbestimmung möglich machte, auf denen das autoritäre Führerprinzip gedieh.“
Schon kleine Kinder werden klassifiziert #
Es waren aber auch allgemeinere gesellschaftspolitische Erwägungen, aus denen sich die US-Amerikanische Schulkritik speiste und die in weiten Teilen auch der Argumentationslinie der deutschen Reformkräfte entsprachen, zu denen vor allem die linken Parteien und progressive Lehrerverbände aus der Volksschullehrerschaft zählten. Zum einen ging es um die Frage der Chancengleichheit.
Nach Auffassung der Kommission brachte die Aufteilung der Schülerschaft nach einer nur vierjährigen Grundschulzeit ein mit demokratischen Verhältnissen unvereinbares Maß an sozialer Selektivität hervor. „Schon im Alter von 10 Jahren oder früher“ sehe sich „ein Kind gruppiert oder klassifiziert durch Faktoren, auf die es keinen Einfluss hat, wobei diese Einstufung fast unvermeidlich seine Stellung für das ganze Leben“ bestimme. Demokratie aber bedeute „dass allen die gleichen Möglichkeiten geboten werden – denen, die ein besonderes Interesse und besondere Fähigkeiten haben und auch denen, die besonders behindert sind“.
Aufbrechende schulpolitische Konflikte #
Zum anderen ging es darum, die Schule zu einem Ort der gemeinsamen kulturellen und sozialen Erfahrung zu machen. Da die Schule in Deutschland schon am Schluss des vierten Schuljahres „in zwei Teile“ zerfalle, sei im bestehenden System nirgends „die Möglichkeit eines gemeinsamen Schullebens“ gegeben. Es sei augenscheinlich, so die Kommission, dass „das Erziehungssystem eines Landes die Grundlagen des ‚Klassengeistes‘ verstärken, oder auch eine kulturelle Gemeinschaft aller Bürger aufbauen kann“. Für eine demokratische Gesellschaft komme nur die zweite Möglichkeit infrage. Entsprechend wurde nachdrücklich eine Integration des Schulwesens empfohlen: Elementare und höhere Bildung sollten „nicht als zwei verschiedene Arten oder Qualitäten des Unterrichts“ verstanden werden, sondern „als zwei aufeinander folgende Schulabschnitte, wobei die Elementarschule die Klassen eins bis sechs, die höhere Schule die Klasse sieben bis zwölf“ umfassen sollte.
Die Grundzüge des von der Zook-Kommission entworfenen Modells – eine Organisation des Schulsystems nicht nach parallel laufenden Schulformen, sondern in aufeinander aufbauenden Schulstufen, in Verbindung mit einem über die Klassenstufen zunehmend differenzierten Kursangebot – waren erkennbar am Modell der US-amerikanischen comprehensive high-school orientiert. Zugleich aber waren sie in hohem Maße anschlussfähig an ältere deutsche Reformtraditionen, dem Land also mitnichten so fremd, wie die Kritik an diesem Modell in der Nachkriegszeit häufig behauptete.
Reformen hatten bereits begonnen #
Die Idee eines nach Schulstufen aufgebauten Schulsystems hatte seit den Interner Link: Humboldtschen Schulplänen regelmäßig progressive Reformkonzeptionen inspiriert und die Idee einer schulinternen Differenzierung des Curriculums in Kern- und Kursveranstaltungen war dem deutschen Schuldenken ebenfalls nicht fremd. So hatte etwa der Bund Entschiedener Schulreformer in der Weimarer Zeit mit der „elastischen Einheitsschule“ ein Modell der Schulorganisation propagiert, das eine gemeinsame Schule für alle Schülerinnen und Schüler bis zur zehnten Klassenstufe vorsah, mit einer schrittweisen Kursdifferenzierung ab der siebten Klasse und einer daran anschließenden wissenschaftlichen Oberstufe. Verschiedentlich waren entsprechende Modelle sogar schon praktiziert worden, etwa in Lübeck und vor allem in Berlin.
Anders als in der sowjetischen Besatzungszone sahen die Westalliierten von direkten schulpolitischen Eingriffen zunächst ab. Gerade auch um die Glaubwürdigkeit ihrer Demokratisierungsmission nicht zu konterkarieren, setzten sie auf die Einsicht und Eigeninitiative der deutschen Schulverwaltungen, die in der frühen Nachkriegszeit in der Tat unterschiedlichste Reformkonzeptionen erarbeiteten und berieten. Der am weitesten verbreitete Ansatz sah eine Verlängerung der Grundschule auf sechs Schuljahre vor. Dies wurde in zahlreichen SPD-geführten Bundesländern (in Württemberg-Baden auch von einem CDU-Kultusminister) zeitweilig erwogen und ab 1949 in Schleswig-Holstein unter Alleinregierung der SPD sowie in Bremen und Hamburg, wo die SPD als starke Fraktion mit kleinen Koalitionspartnern regierte, auch realisiert.
In Hessen, Württemberg-Baden und Niedersachsen gab es unter breiten bürgerlich-linken Koalitionen unterschiedlicher Führung und Beteiligung Pläne dafür, die Mittelstufe in Form von Schulzweigen unter einem Dach zu organisieren, in etwa so, wie es einige Jahrzehnte später in der kooperativen Gesamtschule geschah. Die weitreichendsten Reformpläne wurden in Berlin verfolgt, wo das 1948 erlassenen Schulgesetz den Aufbau einer in sich gegliederten zwölfjährigen Einheitsschule (EHS) auf den Weg brachte. Sie sah eine achtjährige Grundstufe mit Kern- und Kursunterricht vor und gabelte sich ab Klassenstufe neun in einen „wissenschaftlichen Zweig“, der in vier Schuljahren zur Hochschulreife führte und einen „praktischen Zweig“ für alle, die nach der Schule eine Berufsausbildung anstrebten.
Vielerorts blieb es allerdings bei konzeptionellen Überlegungen, deren Realisierung nicht konsequent verfolgt wurde oder wegen aufbrechender schulpolitischer Konflikte ins Stocken geriet. Auch gab es Länder, die gar keine ernsthaften Anstalten machten, den schulpolitischen Vorstellungen der Alliierten entgegenzukommen. Insbesondere Bayern, das gut die Hälfte der Bevölkerung der US-Zone umfasste, stemmte sich vehement gegen jegliche strukturelle Umgestaltung des Schulwesens und geriet darüber in eine offene Konfrontation mit der Besatzungsmacht.
Unter diesem Eindruck verschärften die Amerikaner Anfang 1947 ihre Gangart und forderten die Kultusministerien der Länder ihrer Zone auf, Arbeitsprogramme zur Umsetzung der geforderten Reformen auszuarbeiten und diese von der Militärregierung genehmigen zu lassen. Mitte des Jahres erließ die oberste Besatzungsbehörde in Deutschland, der Alliierte Kontrollrat, dann auf amerikanische Initiative die Direktive Nr. 54, in der nunmehr im Namen aller Besatzungsmächte eine Reihe von „Grundprinzipien für die Demokratisierung des Bildungswesens in Deutschland“ festgeschrieben wurden (siehe Infobox). Sie verlangte etwa die prinzipielle Unentgeltlichkeit von Unterricht und Lernmitteln und forderte, dass alle Schulen zu staatsbürgerlicher Verantwortung und einem demokratischen Lebensstil erziehen müssten und Lehrpläne, Lehrbücher und die Organisation der Schule selbst maßgeblich an diesem Ziel auszurichten seien. Auch die schulstrukturellen Veränderungen, die die Zook-Kommission angeregt hatte, wurden mit der Direktive nun zu einer rechtsverbindlichen Vorgabe für alle Länder: „Alle Schulen für den Zeitraum der Pflichtschulzeit sollten ein zusammenhängendes Bildungssystem (comprehensive educational system) darstellen. Die Abschnitte der Elementarbildung und der weiterführenden Bildung sollten zwei aufeinander folgende Stufen der Unterweisung bilden, nicht zwei Wege oder Abschlüsse der Ausbildung nebeneinander, die teilweise übereinstimmen.“
Die Elite wehrte sich #
Gerade dieser Teil der Interner Link: alliierten Reformagenda hatte indessen von Beginn an energischen Widerspruch von konservativer Seite hervorgerufen. Nach und nach formierte sich eine breite gesellschaftliche Gegenbewegung, die lautstark für den Erhalt des historisch gewachsenen Schulwesens und vor allem des traditionsreichen Gymnasiums eintrat, in dem man einen unverzichtbaren Grundpfeiler der deutschen Bildungstradition sah. Teil dieses „konservativen Blocks“ waren die konservativen Parteien, die katholische und in Teilen die evangelische Kirche, Direktorenvereinigungen sowie Eltern- und Lehrerverbände der weiterführenden Schulen, weiterhin die meisten Universitäten und diverse Akademikervereinigungen und schließlich weite Teile der deutschen Wirtschaft, vertreten etwa durch Industrie-, Handels-, und Handwerkskammern und andere Unternehmerverbände – kurzum: ein Großteil der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Elite des Landes.
Einwände gegen Einheitsschulidee #
Wo dieser konservative Block die Regierungsgewalt auf seiner Seite hatte, zögerten die Schulverwaltungen die Umsetzung der von den Alliierten geforderten Reformen durch geschicktes Herumlarvieren erfolgreich hinaus und nahmen – teils offen, teils verdeckt – eine Wiederherstellung des tradierten Schulsystems in Angriff. In Ländern, in denen die Landtagswahlen sozialdemokratisch geführte Regierungen an die Macht gebracht hatten, die mit den Vorstellungen der Alliierten sympathisierten, trat der konservative Block als zivilgesellschaftliche Kraft in Erscheinung, die die Bevölkerung durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen gegen die im jeweiligen Land verfolgten Reformkonzepte mobilisierte: Die Schule habe in erster Linie pädagogische Aufgaben zu erfüllen und dürfe nicht mit sozialpolitischen Aufgaben überbürdet werden. Gebe man die bewährte Aufteilung der Schülerschaft auf, werde dies einen allgemeinen Leistungsverfall zur Folge haben, denn ein gemeinsamer Unterricht müsse unweigerlich die Leistungsstarken unter- und die Leistungsschwachen überfordern. Größere Teilhabechancen an der höheren Bildung, so ein weiterer verbreiteter Einwand, könnten nur zum Preis einer Absenkung der Leistungsanforderungen der Schule verwirklicht werden.
Eine „biologisch gegebene Begabungsverteilung“ #
Neben diese schon in der Weimarer Zeit gegen die Einheitsschulidee vorgebrachten Einwände trat zudem stärker als bisher eine „begabungstheoretische“ Argumentationslinie. Angesehene Wissenschaftler wie der Sozialanthropologe Karl Valentin Müller , der in der Nachkriegszeit von zahlreichen Kultusministerien Forschungsaufträge erhielt, verteidigten die bestehende Schulorganisation unter Verweis auf eine biologisch gegebene Begabungsverteilung in der Bevölkerung.
(Einschub Quelle Wikipedia: Nachdem Müller bereits vor 1933 im Kontext der Rassenhygiene und Rassenanthropologie publiziert und argumentiert hatte, machte er im Nationalsozialismus wissenschaftliche Karriere. Im Zweiten Weltkrieg unternahm er rassenbiologische Untersuchungen in Osteuropa und wurde 1941 als Professor an die Universität Prag berufen, wo er auch im Auftrag der Reinhard-Heydrich-Stiftung Grundlagenforschung für die Rassen- und Volkstumspolitik des Reichssicherheitshauptamtes betrieb. Nach Kriegsende profilierte sich Müller als Betriebs- und Bildungssoziologe und war ab 1955 Professor für Soziologie und Sozialanthropologie in Nürnberg.)
In seinen methodisch fragwürdigen Untersuchungen machte Müller ein Begabungsgefälle zwischen den Schülern der verschiedenen Sozialschichten aus und sah darin eine „allgemeine Gesetzmäßigkeit“ und einen Beweis dafür, dass der sozialen Schichtung letztlich eine „biologische Begabungspyramide“ zugrunde liege.
In der schulpolitischen interessierten Öffentlichkeit hatten solche Thesen große Resonanz. So gab etwa der Bayerische Kultusminister Alois Hundthammer, einer der schärfsten Kritiker der Reformpläne der Alliierten, eine durchaus verbreitete Auffassung wieder, als er 1947 in einer ablehnenden Stellungnahme an die Militärregierung darauf verwies, dass „die Begabung für höhere Bildungsziele nun einmal nur einem begrenzten Personenkreis vorbehalten“ sei und bei der Forderung nach gleichen Bildungschancen nicht übersehen werden dürfe, dass diese Begabung in den einzelnen Schichten nicht gleichmäßig verteilt sei. Diese „biologische Ungleichheit“, so Hundthammer, könne „durch keine zivilisatorische Maßnahmen beseitigt werden“, auch nicht durch die Einführung eines Einheitsschulsystems.
Schulfrage wird zur Systemfrage #
Die allgegenwärtige Kritik an den schulstrukturellen Reformmaßnahmen, die auch in den Massenmedien stark präsent war, ließ in der Bevölkerung die Skepsis wachsen. Eine ganz zentrale Rolle spielte dabei der Kontrast, der sich mit den schulpolitischen Interner Link: Entwicklungen in der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR einstellte.
Im nun heraufziehenden Kalten Krieg wurde die Schulstrukturfrage unter Verweis auf die „sozialistische“ Einheitsschule zur Systemfrage zwischen Freiheit und Sozialismus hochstilisiert. Das tradierte Schulsystem mit seinem meritokratischen Nimbus, seinen differenzierten Bildungswegen und dem Elternrecht auf freie Schulwahl wurde als das einer freien, marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft einzig angemessene System dargestellt, während jede Form der integrierten Schulorganisation als eine die Leistungs- und Begabungsunterschiede der Schülerschaft ignorierende „Gleichmacherei“ und als Instrument sozialistischer Nivellierungsbestrebungen gebrandmarkt wurde. Bisweilen hieß es gar, eine solche Schule bereite dem Totalitarismus den Boden. So wurde das Gespenst der „roten Schule“ auf lange Zeit zum Totschlagargument gegen jede noch so zaghafte Reform der Schulstruktur.
Als sich die US-amerikanische Besatzungsmacht in ihrer Außen- und Besatzungspolitik ab 1947 auf die sich zuspitzende Ost-West-Konfrontation einstellen musste, die Zusammenführung der Westzonen vorantrieb und die Einbindung der jungen Bundesrepublik in das wirtschaftliche und bündnispolitische System der westlichen Industrienationen forcierte, war sie zunehmend auf jene politischen Kräfte angewiesen, die für die kapitalistische Gesellschaftsordnung standen – und dies waren in weiten Teilen eben jene Kräfte des konservativen Blocks, denen die Amerikaner in der Schulpolitik antagonistisch gegenübergestanden hatten. Unter den veränderten außenpolitischen Gegebenheiten wandelten sich die Prioritäten der USA: Die ursprüngliche schulpolitische Agenda rückte in den Hintergrund; auf eine Umsetzung der in der Kontrollratsdirektive Nr. 54 mandatierten Strukturreformen wurde nicht mehr bestanden.
Entsprechend verkündete dann auch der neu eingesetzte Leiter der Erziehungsabteilung in der amerikanischen Militärregierung Alonzo D. Grace im Oktober 1948 auf der Berchtesgardener Erziehungskonferenz die Abkehr von der bisherigen Schulreformpolitik. Man werde im Kampf der Ideologien in Deutschland keine Verbündeten finden, wenn man ein Schulmodell durchzusetzen wolle, das die Geschichte des Landes ignoriere. Die Militärregierung, so Alonzo, sehe ihre Bestimmung nicht darin, den Deutschen das amerikanische System aufzuoktroyieren. In den Vordergrund rückte jetzt ein pragmatischer Kurs der „inneren Reform“, in dessen Rahmen etwa bei der Modernisierung von Lehrplänen und Schulbüchern beraten und eine Verankerung der Interner Link: politischen Bildung in der Schule unterstützt wurde.
In dem neuen politischen Klima veränderten sich die Kräfteverhältnisse in allen Ländern nach und nach zuungunsten der bereits auf den Weg gebrachten Reformansätze. Die Pläne für eine integrierte Mittelstufe in Hessen und Württemberg-Baden scheiterten schon im Vorfeld der Gesetzgebung; die in Hamburg, Bremen und in Schleswig-Holstein eingeführte sechsjährige Grundschule wurde nach Wahlniederlagen der Sozialdemokraten von konservativ-liberalen Länderregierungen ebenso rückgängig gemacht wie die zwölfjährige Einheitsschule in Berlin. Sie wurde auf eine sechsjährige Grundschule verkürzt – so war sie am Ende alles, was von den schulstrukturellen Reformambitionen der Alliierten und ihrer deutschen Verbündeten übrig blieb.