Differenzierung und individuelles Lernen als Gamechanger #
Die Eichendorffschule in Erlangen ist Hauptpreisträger des Deutschen Schulpreises 2023. Ein Großteil der knapp 400 Schüler:innen hat die Grundschule zuvor mit negativen Lernerfahrungen verlassen. Der „Raum der Mathematik“ gibt vielen erstmals das Gefühl, Mathematik zu verstehen. Hier werden sie behutsam an das eigenverantwortliche und selbstorganisierte Lernen herangeführt. In der anschließenden Arbeit in Lernbüros werden die Jugendlichen so zum „Subjekt ihres Lernens“. Die Eichendorffschule in Erlangen ist ein „Gamechanger“ für ihre Schüler:innen, die hier eine neue Chance für ihren schulischen und beruflichen Lebensweg erhalten.
Die meisten machen den Mittleren Schulabschluss – untypisch für eine Mittelschule #
Lernlandkarte_Eichendorffschule_Erlangen
„Wir haben einmal beschlossen, dass kein Kind untergeht.“
Damit das nicht nur im Wasser, sondern auch in der Schullaufbahn gelingt, hat die Eichendorffschule 2015 einen Schulentwicklungsprozess begonnen, der systematisch auf die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler setzt. Das gelingt der Schule auf so beeindruckende Weise, dass sie nun den Hauptpreis des Deutschen Schulpreises 2023 erhalten hat.
Fast 400 Schülerinnen und Schüler besuchen die Eichendorffschule im Süden Erlangens. 69 Prozent haben einen Migrationshintergrund, 35 Prozent der Elternhäuser beziehen Transferleistungen. Die Lernbiografien der Kinder, die zur 5. Klasse an die Schule kommen, waren bis dahin wenig erfolgreich. Die meisten haben das Gefühl, es nicht geschafft zu haben. Nicht auf die Realschule, aufs Gymnasium schon gar nicht. Es bleibt für sie nur noch die Mittelschule – in Bayern das Äquivalent zur Hauptschule. Aber Schulleiter Helmut Klemm hält dagegen: „Jedes Kind hat Potenzial.“
Die Eichendorffschule will Schülerinnen und Schüler darin unterstützen, diese Potenziale zu entdecken und sie zu stärken. „ICH DU WIR Gemeinsam“ lautet, dazu passend, der Leitspruch der Schule: „ICH trage Verantwortung für mich, für mein Verhalten und Lernen als Schülerin und Schüler, für mein Erziehen und Lehren als Pädagogin und Pädagoge. ICH trage aber auch Verantwortung für dich, damit DU dich wohl fühlst und WIR GEMEINSAM an der Eichendorffschule gut lernen und leben können“, heißt es auf der Homepage (https://www.eichendorffschule-erlangen.de/)
Im „Raum der Mathematik“ lernen Kinder im eigenen Tempo #
Eine zentrale Rolle spielt dabei der „Raum der Mathematik“. Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein normaler Klassenraum – mit Gruppentischen, einer digitalen Tafel, Büchern, Ordnern und Material in den Regalen. Aber wer hier eine Mathestunde besucht, sieht schnell: Hier läuft vieles anders. „Jede Stunde hat klare Rituale: Sie beginnt mit Kopfrechnen, dann kommt optional ein kurzer Input durch die Mathelehrerin oder den Mathelehrer, danach – und das nimmt den größten Teil der Stunde ein – üben die Kinder selbstständig“, erklärt Gabriele Leykauf. Am Schluss der Stunde gibt es eine Reflexionsphase, in der die Klasse untereinander bespricht, ob alle alles verstanden haben und wie es ihnen beim Üben ergangen ist.
Gabriele Leykauf ist Förderlehrerin und gemeinsam mit einem „Pädagogen in der Bildungsarbeit“ – meist sind das Lehramtsstudierende im Praktikum – verantwortlich für den Raum der Mathematik. Abgestimmt auf das Unterrichtsthema stellen sie die entsprechenden Materialien zur Verfügung und bereiten den Raum vor. Wenn Kinder beim selbstständigen Üben Unterstützung brauchen, können sie zu Gabriele Leykauf an den „IN-Tisch“ kommen. „IN steht für Information, Input, Intensiv, Individuell“ erklärt sie. Die Kinder können aber auch zu zweit arbeiten oder sich von der Lerntheke Hilfsmaterial holen.
Durch jedes Thema werden die Schülerinnen und Schüler über einen Lernpfad geführt: Nach dem Input lösen sie zunächst ein Basisblatt mit grundlegenden Aufgaben und können dann aus weiteren Arbeitsblättern auf drei verschiedenen Niveaustufen wählen. Wenn sie die Aufgaben gelöst haben, können sie die Ergebnisse selbst überprüfen. Dazu liegen die Lösungen auf einer Lerntheke aus.
Lehrkräfte im Raum der Mathematik reflektieren ihre Arbeit #
Petra Hiebl von der Lehrerinnen- und Lehrerbildung der Katholischen Universität Eichstätt hat zum Beispiel ein Audit für Lernwerkstätten entwickelt, das die Eichendorffschule für den Raum der Mathematik weiterentwickelt und als Evaluationsinstrument genutzt hat. Mithilfe eines Fragenkatalogs können sich die Lehrkräfte, die im Raum der Mathematik arbeiten, dabei selbst ein Bild von der Wirksamkeit ihrer Arbeit machen. Die Ergebnisse des Audits wurden dann mit der Unterrichtsforscherin besprochen.
Weitere Möglichkeiten #
Der Raum der Mathematik ist aber nur ein Beispiel dafür, wie es der Eichendorffschule gelingt, Kinder individuell zu fördern und ihnen Möglichkeiten zu geben, ihre Potenziale zu entdecken. Daran anknüpfend lernen die Schülerinnen und Schüler ab Klasse 7 Mathematik, Deutsch und Englisch vor allem in den Lernbüros. Nach einem ähnlichen Prinzip wie im Raum der Mathematik erschließen sie sich eigenständig Lerninhalte, die, dreifach differenziert, in Lernbausteinen zusammengefasst sind. Während das Lernen im Raum der Mathematik aber noch weitgehend analog erfolgt, arbeiten die Schülerinnen und Schüler in den Lernbüros vor allem mit iPads.
Auch bei den Lernbüros war der Schule die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft wichtig. Vor allem Dennis Hauk vom Lehrstuhl für Schulpädagogik und Unterrichtsforschung der Uni Jena bestärkte die Schule durch seine Expertise: Die Öffnung des Unterrichts könne gelingen, wenn das Material, die Strukturen und die Begleitung des Lernens lernwirksam bedacht werden.
Ein weiteres Lernangebot an der Eichendorffschule sind die fünf „Schulen“ innerhalb der Schule: die Ackerschule, die Gesunde Schule, die KICKFAIR-Schule, die Kunstschule und die Filmschule. Was an anderen Schulen als AGs stattfindet, ist hier fester Bestandteil des Unterrichts.
Flexible Ausgangsphase als besonderes Angebot #
Zu den besonderen Lernangeboten gehört außerdem, dass die Eichendorffschule eine flexible Ausgangsstufe anbietet. Das heißt, das letzte Schulbesuchsjahr wird hier auf zwei Jahre gestreckt. Flankiert wird dieses Angebot von Lernentwicklungsgesprächen, die in den achten und neunten Klassen stattfinden. Hier wird mit allen Schülerinnen und Schülern individuell besprochen, welchen Schulabschluss sie anstreben.
Quelle:
https://deutsches-schulportal.de/unterricht/deutscher-schulpreis-2023-eichendorffschule/